Josef und Li: Roman (German Edition)
konnte, ging das Gartentor auch ohne zu läuten auf und die Katze sprang von der Mauer auf eine Schulter. Auf die Schulter von Herrn O. Matějů.
»Was ist denn, mein Junge, hast du dich verlaufen?«, sagte Herr Matějů, als er Josef vor sich stehen sah. Und Josef verschlug es die Sprache. Er brachte kein Wort heraus. Nicht ein Piep. Das war also der Mensch, zu dem Frau Kličková gegangen war. Er gefiel Josef überhaupt nicht. Er sah aus wie ein Wolf im Schafspelz und tat vollkommen unschuldig.
»Weißt du nicht mehr, wie du nach Hause kommst?«, fragte Herr Matějů und die Katze auf seiner Schulter miaute etwas, aber da verstand Josef schon kein Wort mehr, also kein Miau mehr.
Josef hätte am liebsten die Flucht ergriffen. Doch als er sein Bein heben wollte, stellte er fest, dass er nicht von der Stelle kam. Seine Beine waren schwer wie Blei.
»Du bist von zu Hause weggelaufen, was?« Herr Matějů sah Josef unverwandt an – er wollte wohl aus Josefs Gesicht irgendein Geheimnis ablesen. Josef schaffte es, ein wenig den Kopf zu schütteln, nein, er sei nicht weggelaufen, doch Herr Matějů glaubte ihm sowieso nicht. »Warum schleichst du dann hier umher mit einem Stadtplan in der Hand und zitterst wie Espenlaub?«
Josef fing an, heimlich auf Vietnamesisch bis einundzwanzig zu zählen. Das hatte ihm Li beigebracht.
»Ich bin nicht weggelaufen, ich suche nur jemanden«, platzte es aus Josef hervor, nachdem er auf Vietnamesisch bis sieben gezählt hatte, weiter konnte er sich nicht erinnern.
»Und wen? Wen suchst du denn hier?«, versetzte der Mann ein wenig spöttisch und sah eher aus wie ein Fuchs im Schafspelz.
»Frau Alexandra Kličková«, antwortete Josef wahrheitsgemäß und fühlte sich gleich viel stärker.
»Alexandra Kličková? Hier gibt’s keine Alexandra Kličková. « Herr Matějů machte ein Gesicht, als ob er den Namen zum ersten Mal hörte.
Das war Josef dann zu viel. Er holte zum Beweis den Brief aus seiner Tasche hervor und wedelte damit Herrn Matějů vor der Nase.
»Und was ist das? Lesen Sie nur. Sie ist bei Ihnen! Sie haben sie doch eingeladen! Und ich bin gekommen, um sie zurückzubringen. Ich bin Josef.«
Herr O. Matějů las sich den Brief durch und sah eine Weile betreten aus. Aber nur eine Weile. Dann fing er an zu lachen und konnte gar nicht aufhören und er kam Josef dumm und hässlich vor und er verstand überhaupt nicht, was Frau Kličková an ihm so toll fand.
Als Herr Matějů endlich wieder zu sich kam, sagte er, Josef solle mit ihm kommen, er müsse diesen Spaß mit jemandem teilen, denn etwas so Lustiges hatte er schon lange nicht erlebt.
Josef trat also ein und hoffte, Frau Kličková bald wiederzusehen, um ihr zu sagen, dass sie mit ihm nach Hause zurückkehren müsse. Weil es ohne sie gar nicht lustig war und der Herr Matějů aussah wie eine Haselmaus.
Im Hausinneren musste er widerwillig zugeben, dass es dort etwas größer und ansehnlicher war als bei ihnen zu Hause.
In der Mitte der Eingangshalle befand sich eine breite Treppe, die Tische und Stühle hatten alle vier Beine und an der Decke hing ein Kronleuchter mit gläsernem Klimbim. Genau so einen hatte sich Frau Kličková gewünscht, doch hat Herr Klička ihr keinen gekauft und stattdessen eine Lampe aus einem alten Sieb gebastelt.
Josef stieg hinter der Katze die Treppe hinauf und spitzte die Ohren, ob er von irgendwo die Stimme von Frau Kličková hören könnte. Doch keine Stimme war weit und breit zu hören. Es war dort so still, dass man irgendwo aus dem Inneren des Hauses einen Wasserhahn tropfen hörte. Das könnte bei den Kličkas nicht passieren, denn Herr Klička würde es nicht aushalten und den tropfenden Hahn sofort richten. Und der Teppich war auch nichts Besonderes. Josef sah ganz genau, dass an einigen Stellen die Fransen fehlten und in einer Ecke Krümel waren. Jemand hatte dort einen Keks zertreten. Das hätte Frau Kličková gar nicht gefallen. Sie würde davon verrückt werden und davonlaufen.
Die Katze blieb vor einer Tür am Ende des Ganges stehen und streckte sich wie ein Bogen. Josefs Herz fing zu klopfen an und er vergaß völlig, was er Frau Kličková eigentlich sagen wollte, um sie zu überzeugen, mit ihm nach Hause zu kommen.
Herr Matějů öffnete die Tür und Josef schob sie weiter auf.
»Ratet mal, wen ich euch hier bringe?«, sagte Herr Matějů und deutete auf Josef.
Im Halbdunkel des Zimmers saßen zwei Frauen an einem Tisch und spielten Karten, aber keine von
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