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Josef und Li: Roman (German Edition)

Josef und Li: Roman (German Edition)

Titel: Josef und Li: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Vovsova
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als die Luft rein und im Hof keine Menschenseele anzutreffen war, duckten sie sich weiter in ihrer Höhle, und es sah so aus, als ob Helena gar keinen Plan hätte. Ratlos blickte sie sich um und als die Jungs sie fragten, was sie vorhätte, verbat sie ihnen den Mund. Doch dann hörte man ein Stück weiter weg ein Krächzen – es war nicht Frau Háková, wie Šíša eine Weile dachte –, sondern Ping Nguyen. Er hüpfte hinter dem Fenster von Lis Zimmer auf und ab, und als ihn Helena bemerkte, blitzte es in ihren Augen und auf einmal wusste sie genau, was zu tun war.
    »Die Aktion Papageius beginnt!«, flüsterte sie und näherte sich vorsichtig dem Fenster mit dem Papagei.
    »Sie will ihn wegnehmen«, stammelte Šíša, und Máchal und Hnízdil standen wie benommen da und starrten ungläubig auf Helena, die ihre Hand durch das Fenster streckte und sich den Papagei schnappte. Das war aber nicht abgemacht! Das hätte sie mit ihnen absprechen müssen und sie nicht vor vollendete Tatsachen stellen dürfen! Helena stopfte sich den Vogel blitzschnell unter die Jacke. Bei den Jungs erhob sich aber ein Sturm der Auflehnung. Josef verdreschen, ja, oder ihm die Luft rauslassen – natürlich nicht aus ihm selbst, sondern aus dem Fahrrad – oder ihn in den verlassenen Garten schleppen und dort unendlich lang Ringel Ringel Reihe spielen, o.k. Josef hasste dieses Spiel von ganzem Herzen. Aber Li Nguyen den Papagei wegnehmen?!
    »Ohne mich!«, brachte Šíša hervor und wich zur Durchfahrt zurück.
    »Und auch ohne uns«, sagten Máchal und Hnízdil einstimmig und folgten Šíša.
    Als Helena mit siegessicherem Lächeln auf die Straße hinausrannte, waren die Jungs bereits fest entschlossen.
    »Wir pfeifen drauf, Tigerkrallen zu sein!«, verkündeten die drei und Helena starrte sie fassungslos an.
    »Wie, ihr pfeift drauf?«
    »Ja, wir pfeifen drauf! Wir wollen keine Tigerkrallen mehr sein!«, sagte Šíša und war auf einmal furchtbar erleichtert.
    »Genau, wir wollen keine Tigerkrallen mehr sein«, wiederholten Máchal und Hnízdil und auch sie waren erleichtert.
    »Was spinnt ihr rum? Das geht doch nicht!«
    »Es geht doch!«, sagten die Jungs und Helena war auf einmal klar, dass ihr Entschluss endgültig war und es daran nichts mehr zu rütteln gab.
    »Was macht ihr denn dann noch hier? Haut ab!«, schrie sie und die Jungs gingen wirklich. Einer ging geradeaus, der andere wechselte die Straßenseite und der Dritte bog nach rechts ab. Dabei schienen sie kleine Freudensprünge zu machen. Denn jetzt war es wieder wie früher, als ihnen noch niemand Befehle gab und sie wohin und wann sie wollten gehen konnten.
    Helena blieb wie angewurzelt am Bürgersteig stehen. Also gut, die Jungs lösten den Bund der Tigerkrallen auf und Josef die Verlobung, Herr Bajer das Versprechen, einen Ausflug in die Berge zu machen, Li Nguyen bekam von Josef einen Ring geschenkt, Josef lernte Kampfsport, die Katze ließ sich immer noch nicht zähmen, Frau Bajerová hatte ihr zu Weihnachten kein Meerschweinchen geschenkt, sondern einen Plüschaffen,
und der Marienkäfer namens Laura war irgendwohin weggeflogen! Das alles schoss Helena durch den Kopf und auf ihren Wangen liefen Tränen herab. Und dann hörte man unter der Jacke ein Gekrächze: »Chalo, cheut geht’s aber zu, gell?«, und ein Herr, der gerade vorbeiging, nickte mit dem Kopf und lächelte ihr zu, weil er dachte, es wäre Helena, die gesprochen hätte.
    »Chonjohcho chonjoh!«, plapperte Ping Nguyen weiter auf Vietnamesisch und ein anderer Herr, der vorbeiging, sagte zu Helena, sie solle nicht so frech sein. Und es gefiel ihr ausnehmend gut, wie der Papagei unter der Jacke redete, während die Leute dachten, sie wäre es. Sie war schon gar nicht mehr so traurig und lief mit dem Papagei nach Hause.

10

    »So, wer fehlt uns denn heute?«, fragte die Frau Lehrerin nach den Weihnachtsferien und streifte mit ihrem Blick die Klasse. »Nur Li Nguyen. Weißt du, was mit ihr los ist, Josef?«
    Josef zuckte mit den Schultern. Seitdem sie vom Petřín zurückgekehrt waren, hatte er sie nicht mehr gesehen. Der Vorhang in ihrem Fenster war zugezogen und Frau Nguyen sah besorgt aus.
    »Die hat wohl Schwänzeritis gekriegt«, witzelte Helena Bajerová und ein Plastikbeutel mit Körnerfutter fiel ihr aus der Schultasche.
    »Wie oft soll ich euch sagen, dass erst in der großen Pause gegessen wird!«, ärgerte sich die Frau Lehrerin.
    »Schaut mal, die Bajerová hat Vogelfutter für die Pause!«, rief

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