Josef und Li: Roman (German Edition)
Ritze der Schranktür gesehen hat, war nicht sehr oft zu Hause. Doch wenn sie kam, durfte er im Schrank keinen Mucks machen, sonst hätte sie ihn angeblich bei lebendigem Leibe abgerupft.
»Und? Du haben den Tier?«, rief Frau Nguyen und lief Josef entgegen, sobald sie ihn im Hof erblickte.
»Leider nein«, sagte Josef mit gesenktem Kopf, und als er sah, wie enttäuscht Frau Nguyen war, fügte er rasch hinzu: »Aber ich bin ihm schon auf der Spur!«
Frau Nguyen lächelte ihn dankbar an und erlaubte ihm, zumindest kurz nach Li zu sehen.
Nur ihr Kopf ragte unter der Bettdecke hervor und sie erinnerte Josef an ein Findelkind im Boot, das sich immer weiter vom Ufer entfernte, hinaus ins weite Meer. Er wollte schon auf sie zugehen, sie heftig schütteln, damit sie aufwachte, damit sie wieder ans Festland zurückkehrte, doch Frau Nguyen nahm ihn bei der Hand und führte ihn aus dem Zimmer.
»Li müssen viel schlafen, damit Nerv stark, ja?«, erklärte ihm Herr Nguyen später und legte ihm auf ein Tablett einen Haufen kleiner Teller und Schüsseln mit den unterschiedlichsten Gerichten.
Josef hatte den Nguyens nämlich angeboten, ihnen in der Lustigen Teh Cann anstelle von Li auszuhelfen. Und so nahm er Bestellungen entgegen, trug Essen aus, räumte die Tische ab und nach einer Weile war er schon so geübt, als ob er schon weiß Gott wie lange kellnerte. Und so bediente er auch Herrn Bílek und Frau Miluška.
Herr Nguyen schaute sich seine Gäste genau an, bevor er ihnen etwas vorsetzte. Und je nachdem, welchen Eindruck sie auf ihn machten, welche Energie sie ausstrahlten, oder andersherum, welche Energie ihnen fehlte, bereitete er die Speisen zu. Und so kam es, dass selbst wenn sich Frau Miluška für das bescheidenste Gericht entschied, ihr Herr Nguyen wohlgesonnen war und ihr einen Berg an Gemüse, Glasnudeln – natürlich sind die nicht aus echtem Glas, sondern aus Reismehl;
sie heißen nur so, weil sie durchsichtig sind wie Glas – und ein paar Scheiben des ausgesuchtesten Fleisches auf dem Teller anrichtete.
»Nun, auf unsere Zusammenarbeit!«, sagte Frau Miluška zu Herrn Bílek, als ihnen Josef den tschechischen Tee servierte.
»Und auf meinen charmanten Partner!«, sagte Herr Bílek heiter und hatte das Gefühl, seine Stimme nicht verstellen zu müssen, denn diese klang jetzt tatsächlich jünger.
In der Ecke der Teestube saßen zwei Frauen und kauten sorgfältig jeden Bissen. Sie blickten sich unauffällig im Raum um und machten gelegentlich eine Bemerkung in ihr graues Notizbuch. Als Josef die beiden bemerkte, gefror ihm fast das Blut in den Adern und er eilte zurück in die Küche.
»Herr Nguyen, Sie haben hier im Lokal zwei Lochnessen! Die sind furchtbar gefährlich! Sie waren auch schon auf dem Markt und haben alles kontrolliert! Sie wollten Li schnappen, aber sie ist ihnen entwischt!«, plapperte Josef eins übers andere und Herr Nguyen konnte überhaupt nicht nachvollziehen, warum Josef so außer sich war und fuhr damit fort, den Reis auf dem Teller so zu arrangieren, dass er wie ein verschneiter Berg aussah.
Josef sah sich in der Küche um. Besonders ordentlich war es hier nicht. In der Spüle und drum herum stapelte sich das schmutzige Geschirr, auf dem Tisch lagen Gemüse-, Orangen-und Bananenschalen. Auf dem Brett neben dem Herd, der vielmehr an einen Vulkan erinnerte, aus dem gerade eine Schicht geschwärzter, fettiger Lava strömte, häuften sich die Schalen von Eiern, Muscheln, Crevetten und Nüssen.
»Wenn etwas nicht hundertprozentig picobello ist, brummen sie einem gleich eine Strafe auf!«, sagte Josef, packte den Besen und fing gleich an zusammenzukehren.
»Strafe? Wieso? Wir nur mache gute Essen!« Herr Nguyen ließ sich nicht im Geringsten aus der Ruhe bringen und um seinen Worten Gestalt zu verleihen, zeigte er auf die wunderschön angerichtete Platte. »Dafür doch nicht sein Strafe. Name von Essen: Bleib ruhig, mein Freund, der Frühling ist weit, und auch im Winter kannst du dich freue .«
»Wie bitte?«
»Du nix verstehe? Der Karotte, grün Petersil und Reis sagen: Europa, wertvoll ist alles, was du habe!« Aber Josef wurde jetzt auch nicht schlauer. Heimlich lugte er in die Ecke des Saals, zu den beiden Lochnessen, und schon stürzte er sich mit dem Putzlappen Hals über Kopf auf alles, was ihm in die Hände kam.
»Bei uns frühe nicht viel zu Essen, du wissen?«, fuhr Herr Nguyen fort und drapierte seelenruhig ein Salatblatt am Fuß des Reisberges. »Bei uns nur Reis
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