Josef und Li: Roman (German Edition)
war an große Feiertag. Aber wir nicht sagen: Das schreckliche Sache, wir nix habe Reis, wir nix habe Reis. Wir andere Sache essen!«
»Jetzt kommen sie!«, unterbrach Josef Herrn Nguyen, als er sah, wie die Kontrolleurinnen sich erhoben und langsam auf den Kücheneingang zugingen. »Und wenn sie diesen Sausta… ich meine, diese Unordnung sehen, das ist richtig Schei…äh, das gibt eine Mordsblamage!«, korrigierte sich Josef ein paarmal hintereinander und Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn. Aber Herr Nguyen ließ sich auch diesmal nicht aus der Ruhe bringen, im Gegenteil, er lächelte ihm sogar
zu, klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter und sagte: »Keine Angst, Josef, wir hier nix Schrecklich tun. Wir hier nur gute Essen kochen, für Seele und Leibe.«
Und dann konnte Josef beobachten, wie die Kontrolleurinnen an der Garderobe stehen blieben, ihre grauen Mützen und Mäntel vom Haken nahmen, und ein Stein fiel ihm vom Herzen. Frau Nguyen begleitete sie zur Tür und die beiden lächelten ihr sogar zu.
Aber dieses Lächeln, dieses Lächeln fand Josef nicht schön. Als ob sie den Mund voller süßsaurer Gurken hätten und in ihren Augen zwei Basilisken mit ihrem bösen Blick vorbeihuschten. Im Hof blieben sie noch einmal stehen, sahen sich um und notierten sich wieder etwas in ihren grauen Notizblöcken.
Und Herr Šimáček schaute wie gewöhnlich aus dem Fenster, lächelte ebenso säuerlich und aus seinen Augen warfen mindestens zehn solcher Basilisken ihren Blick hinunter.
Josef war dem Papagei zwar auf der Spur, aber es war alles nicht so einfach.
Helena wusste sehr gut, dass Josef sie seit der Schule verfolgte. Natürlich versuchte er, so unauffällig wie möglich zu sein, aber Frau Kličková hatte unglücklicherweise am Abend zuvor seine einzige, sehr unaufällige Jacke gewaschen und ihn gezwungen, die leuchtend rote Jacke von Vendula aufzutragen.
»Genau solche Wämse trugen schon die tapfersten Krieger der Kaiser aus der Chan-Dynastie, zweitausend vor Christi«, behauptete Frau Kličková, als sie ihn mit Gewalt in den Mantel
zwängte. Doch in einem Wams der Kämpfer der Chan-Dynastie in Prag unauffällig zu sein, und das zweitausend Jahre nach Christi, das war nun wirklich sehr schwer.
Helena kostete den Nachmittag voll aus. Zuerst ging sie, genau wie Anfang September, in den Nähladen. Dort suchte sie sich fürchterlich lange verschiedene Aufnäher, Knöpfe, Bänder und Schleifen aus. Und Josef tat in der Zwischenzeit, als gehöre er zu einem Skoda – quasi als Anhänger –, der genauso rot war wie der Mantel von Vendula. Und dann ging Helena in die Ballettstunde.
Aus den Fenstern des Souterrains hörte man Herrn Bílek Klavier spielen und Josef kam die eine Stunde wie eine Ewigkeit vor. Schließlich war sie dann doch zu Ende und Helena kam heraus. Und er unternahm immer noch nichts. Er tat nur so, als sei er eine alte sowjetische Flagge und hing so lange regierungs-, das heißt reglos am Zaun, bis Helena um die Ecke bog. Wenn er wüsste, was zu tun wäre, hätte er es womöglich schon längst getan. Aber er wusste es nicht. Helena würde doch niemals auf ihn hören, wenn er ihr den Weg versperren und die Herausgabe des Papageis fordern würde! Sie würde ihn höchstens auslachen und sagen, sie wüsste nichts von einem Papagei. Er brauchte einen Beweis! Doch es sollte sich herausstellen, dass ihm selbst der größte Beweis zu nichts nutze war.
Helena verschwand nämlich im Trödelladen und als sie wieder herauskam, hielt sie einen Vogelkäfig in der Hand. Und sie versuchte ihn nicht einmal zu verbergen und so zu tun, als sei er in Wirklichkeit ein Wäschetrockner oder ein Campinghocker.
Jetzt ist die Gelegenheit da, dachte Josef und versperrte ihr den Weg. »Du gibst sofort den Papagei wieder zurück, Helena! «, sagte er und schaute sie wie der tapferste Kämpfer des Kaisers aus der Chan-Dynastie an.
»Was denn für einen Papagei? Siehst du hier vielleicht einen Papagei?« Helena stellte sich dumm und suchte im leeren Käfig nach dem Vogel.
Das war aber zu viel für Josef! Ohne weiter zu überlegen stürzte er sich auf Helena und wollte ihr den Käfig entreißen.
»Fang mich doch, fang mich doch, Hosenscheißer! Drrrrolliger Drrrreikäsehoch!«, plapperte Helena mit einer Papageienstimme und sprang von einer Seite auf die andere, als ob sie ein Spiel mit ihm spielen würde. Aber Josef wollte gar nicht spielen. Er wollte nur, dass Li ihren Papagei wiederbekam und endlich gesund
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