Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
weiter zu schweigen, wie ich sah, daß sie alle feig waren und daß keiner Ihnen zu folgen wagte, meine Lucia, sondern daß sie alle nur auf den Mann starrten, und wie ich den Hohn und die Feindschaft auf dem Gesicht des Mannes sah, da ist die Narrheit über mich gekommen. Ich war von Anfang an toll und vermessen, schon als ich die Idee dieser Rezitation faßte, schon als ich Sie bat, ihn zu laden, meine Lucia. Sie konnten es nicht wissen, meine Freunde, wie toll es war, aber ich hätte es wissen müssen. Ich hatte gewisse Begegnungen mit ihm, und ich hätte wissen müssen, daß es nur so kommen konnte. Ich hätte diese Vorlesung nicht unternehmen dürfen. Der ohnmächtige Zorn darüber, daß ich es doch getan hatte, hat mich verrückt gemacht.«
»Ich weiß nicht, was ihr alle wollt«, sagte unzufrieden mit seiner jungen, tiefen, unschuldigen Stimme Matthias. »Ich finde, es ist ein ungeheurer, für immer denkwürdiger Sieg, daß der Kaiser der Römer zu Flavius Josephus gekommen ist. Du sagst, mein Vater, er sei dein Gegner. Um so größer ist der Sieg. Der Kaiser, mit seinen hundert Millionen Römern hinter sich, betrachtet also den einzelnen Mann Josef Ben Matthias als einen Feind, den zu bestehen er sich selber aufmachen muß. Josef Ben Matthias aber fürchtet sich nicht und sagt ihm die Wahrheit. Ich finde, das ist ein gewaltiger Sieg.«
Innerlich lächelten, beinahe gerührt, die drei Erwachsenen über die ungeschickten Versuche des Jungen, seinen Vater zu trösten. Claudius Regin und Lucia erörterten, diesmal nicht unbesorgt, was nun Domitian wohl beschließen werde. Aber man konnte nichts voraussehen, man konnte nur warten. Es gab auch keinerlei Vorsichtsmaßnahmen, die man hätte treffen können. Es wäre sinnlos gewesen und hätte die Gefahr nur vermehrt, wenn etwa Josef versucht hätte, die Stadt zu verlassen.
Josef, allein, erkannte sehr genau, daß das, was er getan hatte, dem gleichen Wahnsinn entsprungen war, der vor zehn Jahren die »Eiferer des Tages« in ihren sinnlosen Aufstand getrieben hatte. Doch was ihnen, diesen Jungen, Zwanzigjährigen, erlaubt war, ihm, dem Achtundfünfzigjährigen, war es nicht erlaubt. Und trotzdem, es war eine ehrenvolle Niederlage, eine Niederlage, die das Herz des Besiegten mit einem stolzen, hohen Schmerz erfüllte, eine Niederlage, hundertmal besser als jene schalen Siege der Vernunft, die ihm während der letzten Jahre das Herz so kahl und kalt gemacht hatten. Er war keineswegs zerknirscht, er war stolz auf seine Niederlage, und selbst die Erwartung dessen, was da kommen mochte, beglückte ihn.
Übrigens brachte ihm seine Wahnsinnstat zunächst nur Freuden. Matthias schaute mit einer so bewundernden Liebe zu ihm auf, wie er’s nach einem noch so großen Erfolg nicht anders hätte tun können. Lucia schalt ihn zwar, doch in ihre Scheltworte mischte sich ein beinahe zärtliches Verständnis seines achtundfünfzigjährigen und noch so jung brennenden Herzens. Von den Juden gar, und diesmal von den Juden des ganzen Reichs, wurde Josef stürmisch gefeiert. Das Bedenken einiger Vorsichtiger ging unter in einer Ungeheuern Woge von Popularität. Josef, der dem judenfeindlichen Kaiser inmitten einer tausendköpfigen Menge die Wahrheit Jahves an den Kopf geworfen hatte, wurde zum größten Aufrührer der Epoche. Claudius Regin hatte recht gehabt, bald wurde die Universalgeschichte von noch mehr Menschen gelesen als seinerzeit der »Jüdische Krieg«.
Es war vornächst nicht Josef selber, dem aus jener denkwürdigen Vorlesung Übel erwuchs, sondern Matthias. Denn mit Ausnahme der ganz wenigen intimen Freunde Josefs schloß jetzt der Adel der Stadt Rom seine Türen vor Josef zu, und das bekam Matthias noch mehr zu spüren als der Vater.
Wie rasch des Matthias Glanz gerade in den Häusern der großen Welt verblaßt war, mußte er merken, als er das nächste Mal mit dem Mädchen Caecilia zusammenkam. Caecilia war ihm in den letzten Monaten mit sichtbar steigender Achtung begegnet, kein Wort mehr war gefallen vom rechten Tiberufer und von einer späteren Hausierertätigkeit des Matthias. Um so stärker jetzt kam der Rückschlag. Ihr Literaturlehrer hatte ihr in der Homerstunde erzählt von dem großen ägyptischjüdischen Homerinterpreten Apion. Bei dieser Gelegenheit war auch die Rede gewesen von den berühmten Büchern des Apion gegen die Juden, und einige der verächtlichsten und tückischsten Argumente dieses Apion hatte sich nun Caecilia zu eigen
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