Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Den Doktoren waren die Beine steif geworden vom langen Sitzen im Wagen. Jetzt stapften sie ungelenk die vielen Pfade, es ging auf und ab über Terrassen, über lange, sich windende Treppenwege.
Endlich wurde der Kaiser sichtbar. Um ihn waren einige Herren. Josef erkannte den Polizeiminister Norban, den Kriegsminister Annius Bassus und des Kaisers Freund, den Senator Messalin. Domitian trug einen leichten, grauen Mantel, sein Gesicht war infolge der frischen Luft noch mehr gerötet als sonst, er schien guter Laune. »Ah, da sind die Doktoren von Jabne«, sagte er lebhaft mit seiner hohen Stimme. »Ich habe es nicht länger hinausschieben wollen, mein heiliger Herr«, wandte er sich an Gamaliel, »Ihre Bekanntschaft zu machen. Nicht weitere zwei Stunden, nicht bis zum Ende der Besichtigung meiner neuen Bauten habe ich warten wollen. Jetzt freilich müssen Sie mir erlauben, daß ich, während ich mit Ihnen spreche, meine Geschäfte hier weiter betreibe. Das hier«, stellte er vor, »sind meine Baumeister Grovius und Larinas, deren Namen Ihnen bekannt sein werden. Und jetzt, während wir plaudern, fahre ich in der Besichtigung fort. Wir wollen uns zunächst das kleine Sommertheater anschauen, das ich für die Kaiserin zu errichten im Begriffe bin.«
Man setzte sich von neuem in Bewegung. Die jüdischen Herren, befremdet von dem sonderbaren Empfang, stolperten ungelenk weiter. Sie und diese Umgebung stimmten durchaus nicht zusammen, und sie spürten es. Der Kaiser, während man so dahinging, stelzte, stapfte, sprach über die Schulter zu dem Großdoktor. »Es ist jetzt«, sagte er, »viel die Rede von eurer Universität Jabne. Man beklagt sich, sie sei ein Herd des Aufruhrs. Ich wäre Ihnen verbunden, heiliger Herr, wenn Sie mich darüber belehrten.« Der Großdoktor war ein geschmeidiger Mann, der sich in jede Situation zu finden wußte. Sich sorgfältig einen halben Schritt hinter dem Kaiser haltend, erwiderte er: »Ich begreife nicht, wie unsere stille Gelehrtentätigkeit in Jabne Anlaß zu solchem Gerede geben kann. Unser einziges Geschäft ist, die alten Lehren unseres Gottes auszudeuten, sie den Bedingungen unserer neuen, unpolitischen, rein religiösen Gemeinschaft anzupassen, die Vorschriften eines Lebens festzusetzen, das dem Kaiser gibt, was des Kaisers ist, und unserm Gotte Jahve, was sein ist. Unsere oberste Richtschnur heißt: die Gesetze der Regierung sind auch Religionsgesetze. Durch diese Grundregel haben wir jeden Kompetenzstreit und jeden Gewissenskonflikt ein für allemal aus dem Wege geschafft.«
Man war inzwischen auf der Baustelle angelangt. Die Fundamente des kleinen Theaters waren gelegt. Der Kaiser stand und beschaute sie; es war fraglich, ob er die Worte des Großdoktors gehört und aufgenommen hatte. Vorläufig jedenfalls antwortete er nicht, sondern wandte sich an seine Baumeister. »Die Aussicht«, sagte er, »über die Bühne dieses kleinen Theaters auf den See hin ist noch schöner, als ich erwartet hatte. Aber vielleicht hätten wir doch, wie ich zuerst vorschlug, die Szene etwas breiter machen sollen, etwa um zwei Meter.« Und ohne Übergang, brüsk, wandte er sich an den Großdoktor: »Aber sind nicht vielleicht eure schönen Reden bloße Theorien? Ist eure Lehre nicht ihrem Wesen nach staatsfeindlich? Ist euer Gott nicht auch euer König, so daß seine Gesetze die Gesetze des Senats und Volkes von Rom von vornherein aufheben? Haben sich nicht die Führer des niederträchtigen Aufruhrs auch auf euch berufen und auf eure Lehre?«
Der Architekt Larinas legte dar: »Wenn wir die Szene breiter gemacht hätten, dann hätte das Haus den Charakter des Schmuckkästchens verloren, den der Herr und Gott Domitian für dieses Theater der Kaiserin befohlen hatte.« Der Großdoktor sagte: »Wir haben den Bann ausgesprochen über diejenigen, die sich der Aufruhrbewegung anschlossen.« Der Kaiser erklärte: »Ich will mir den Bau von der Seite anschauen. Ich glaube noch immer nicht, daß Sie recht haben, mein Larinas.«
Während man sich nach der andern Seite des kleinen Theaters begab, hänselte Annius Bassus auf seine joviale, lärmende Art die jüdischen Herren: »Ja, meine verehrten Doktoren, Sie haben die Aufrührer in Bann getan, stimmt: aber doch erst, nachdem der Aufstand mißglückt war und die Aufrührer tot.« Der Kaiser beschaute sich den Bau. »Sie haben recht, mein Larinas«, entschied er, »und ich habe mich geirrt. Das Theater verlöre seinen Sinn, wenn man die
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