Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Majestät darum, meine Herren Doktoren, von Ihnen als von der autorisierten Stelle folgendes zu erfahren. Gibt es Männer in Fleisch und Blut, Männer mit genauen Namen, Wohnort und Geburtsjahr, die eine Anwartschaft darauf haben, der von Ihnen erwartete Messias zu sein? Mir hat man gelegentlich gesagt, ein Kriterium werde von Ihnen allen als Grundlage solcher Eignung und Anwartschaft anerkannt; es werde nämlich der von Ihnen erwartete Messias ein Reis sein aus dem Stamme eures Königs David. Bin ich da recht unterrichtet oder nicht?«
»Ja«, sagte lebhaft der Kaiser, »das ist interessant. Ist der Kreis derer, aus deren Mitte der von euch erwartete Messias kommen soll, streng umgrenzt? Ist er zu suchen ausschließlich unter den Abkömmlingen eures Königs David? Ich bitte um klare Antwort«, forderte er den Großdoktor auf.
Gamaliel erwiderte: »Es ist so, und es ist nicht so. Unsere Heilige Schrift bedient sich oft einer dichterischen Ausdrucksweise. Wenn unter unsern Propheten der eine oder andere erklärt, es werde uns ein Messias kommen aus dem Stamme Davids, so ist das mit Absicht vag ausgedrückt und bildlich zu verstehen. Die ganze Vorstellungswelt um den Messias herum ist poetisch. Sie hat«, schloß er lächelnd, weltmännisch, »wenig mit einer Realität zu tun, die man in Akten und Listen einfangen könnte.«
Doktor Ben Ismael wandte das edle, elfenbeinfarbene, zerknitterte Gesicht dem Kaiser zu, die alten, müden, eingesunkenen Augen richtete er voll auf ihn, und er erklärte: »Ja, es handelt sich um eine höhere Realität. Wer über den Messias ein Einzelnes aussagt, sagt im besten Falle eine Teilwahrheit aus und somit etwas Falsches. Denn die Lehre vom Messias ist eine vielfältige Wahrheit, sie kann nicht mit dem Verstand allein begriffen, sie kann nur geahnt werden, geschaut. Nur der Prophet schaut sie. Eines allein ist gewiß: der Messias, der da kommen soll, wird sein die Verbindung Gottes mit der Welt. Seine Sendung geht nicht Israel allein an, sondern den Erdkreis und alle seine Völker.«
Aber: »Es ist nicht so«, erklärte grob der wilde Eiferer Doktor Helbo, »und Sie, Doktor Ben Ismael, wissen, daß es nicht so ist. Es sind Einzelheiten offenbart über den Messias«, wandte er sich an Messalin, »so eindeutige Merkmale, daß sie nicht zu verwischen sind und daß sogar ihr Römer sie verstehen könnt. Der Messias wird sein ein Sprößling Davids. Dies ist die Wahrheit, und da hat man Sie recht unterrichtet, mein Herr.«
»Danke«, sagte Messalin.
»Was Sie meinem Vater verkündet haben, mein Flavius Josephus«, meinte liebenswürdig der Kaiser, »stimmt aber damit nicht überein. Denn soweit ich über unsere Abstammung unterrichtet bin, geht sie auf Herkules zurück, nicht auf diesen David.« Ein kleines Gelächter lief ringsum, es klang harmlos, der Großdoktor atmete auf. Josef selber, trotz der Demütigung, atmete auf, froh, daß die Gefahr vorüberzuziehen schien an der Hochschule von Jabne, an der Lehre. »Aus den Meinungsverschiedenheiten der verehrten Herren und Doktoren«, verteidigte er sich, »mag der Herr und Gott Domitian ersehen, daß die Verkündigungen des Messias dunkel sind und das meiste dem Gefühl überlassen. Was ich damals spürte, als ich dem Herrn und Gott Vespasian huldigte, war ehrlich, die Ereignisse haben es bewährt, und ich rühme mich meiner Verkündigung.«
Ein tiefes, zorniges Brummen kam aus der Kehle des Doktors Helbo. War es schon Lästerung, daß dieser Josef Ben Matthias, immerhin noch Jude, den Kaiser der Heiden als Herrn und Gott ansprach, so war es doppelte Blasphemie, daß er den toten Kaiser Vespasian, den Feind Jahves, in Gegenwart der Doktoren von Jabne nochmals den Messias nannte. Doktor Helbo rüstete sich also, etwas Eiferndes, Bekennerisches, Vernichtendes zu sagen. Doch weder dem Annius Bassus noch dem Norban, noch gar dem Messalin gefiel es, daß sich das Gespräch jenen alten, abgelebten Vorgängen zugekehrt hatte. Ihnen lag daran, die Doktoren auf Definitionen festzulegen, die man für gewisse praktische Maßnahmen verwerten konnte. »Soviel jedenfalls dürfen wir als gesichert unterstellen«, faßte Annius Bassus zusammen, »daß der gemeine Mann überall in der Judenheit einen, der vom König David abstammt, dem Kreis derjenigen zurechnet, aus denen der echte Messias kommen wird.« – »Ja, so ist es«, gab der grimmige Doktor Helbo zu. »Nun«, erklärte zufrieden der Polizeiminister Norban, »da
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