Josepsson, Aevar Örn
mitten im Zimmer und ließ sich die Ereignisse der letzten Monate durch den Kopf gehen – vor allem aber die der letzten vierundzwanzig Stunden. Wieder einmal hatte er aufs falsche Pferd gesetzt, das war sonnenklar.
Das Fenster, dachte er: Das Fenster war die einzige Lösung. Der Raum befand sich im ersten Stock und war vollgestopft mit allem möglichen Kram in Regalen und Schränken, aber nicht an der Fensterwand. Die untere Hälfte des Fensters bestand aus einem Fach, das zu öffnen war. Es war zwar relativ schmal, aber Úlfur war sich ziemlich sicher, dass er es schaffen würde, sich da hindurchzwängen, vorausgesetzt, dass man es ganz aufstemmen konnte. Er öffnete es einen Spalt, um die Lage draußen zu erkunden. Wenn es ihm gelingen würde, sich mit den Füßen zuerst hinauszuzwängen, waren es höchstens drei Meter bis nach unten auf die Rasenfläche. Úlfur hatte sich schon in schlimmeren Situationen befunden.
Trotz des schwer verhangenen Himmels waren es immer noch vier, fünf Stunden, bis es richtig dunkel werden würde, aber so lange wollte er nicht warten. So blöde war er nicht. Nach einigem Herumfummeln gelang es ihm, den Sicherheitshebel zu entfernen, der dafür sorgte, dass das Fensterfach nur bis zu einem bestimmten Winkel geöffnet werden konnte. Er stemmte es weit auf und war schon halb draußen, als ihm der Flachmann einfiel, deshalb krabbelte er noch einmal zurück. Dann zwängte er sich ein weiteres Mal durch die Öffnung in den Regen hinaus, hielt sich noch einen Moment an der Fensterbank fest und ließ sich fallen. Ein kurzes Abtasten ergab, dass sowohl er als auch der Flachmann heil waren.
*
Árni schloss die Tür hinter sich, stellte den Koffer ab, blickte sich um und atmete tief durch. Wieder zu Hause, dachte er, ich bin wieder zu Hause. Er überlegte kurz, ob er Stefán anrufen sollte, beschloss aber dann, es bleiben zu lassen und das Alleinsein zu genießen.
Er schlenderte ins Wohnzimmer, machte Licht, schaltete die Stereoanlage ein und legte Antony and the Johnsons ein. Als Nächstes genehmigte er sich einen Drink von dem Duty-free-Mitbringsel und machte es sich in seinem alten, gemütlichen Sessel zwischen den Boxen bequem. Eine Dreiviertelstunde später hatte er sich ausgekleidet und lag im Bett, hundemüde und schlafbedürftig nach der langen Reise. Trotzdem hatte er Probleme mit dem Einschlafen.
»Mannomann, Scheiße«, murmelte er eine halbe Stunde später in die gähnende Leere auf der anderen Seite des Doppelbetts. »Scheiße, bin ein hoffnungsloser Fall, ein konditionierter, hoffnungsloser Banause.« Zehn Minuten nach dieser kurzen und bündigen Selbstanalyse war er fest eingeschlafen.
8
Montag
»Hast du deine Bewerbung schon eingereicht?«, fragte Ragnhildur, als sie ihm den Kaffeebecher zuschob.
»Nein«, antwortete Stefán grantig, »und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das wirklich machen soll.«
Ragnhildur kniff ein Auge zu und sah den Mann, mit dem sie seit sechsunddreißig Jahren verheiratet war, drohend an. »Du bewirbst dich«, sagte sie. »Sei doch kein Kindskopf. Du bist viel zu alt, um dich tagaus, tagein und zu allen Tages-und Nachtzeiten quer durch die Stadt jagen zu lassen, und das weißt du selber ganz genau. Du hast sie doch hoffentlich schon geschrieben, oder nicht? Ist nicht morgen der letzte Abgabetermin?«
Stefán brummte etwas vor sich hin und schüttete Zucker in seinen Kaffee.
»Was?«
»Ja, ich habe sie geschrieben«, murmelte Stefán grantig. »Oder besser, ich habe das Formular ausgefüllt, mehr ist das ja nicht. Ich könnte wahrscheinlich genauso gut Klopapier in den Umschlag stecken, es käme aufs Gleiche hinaus. Für die steht ja sowieso schon fest, dass ich den Job übernehmen soll, und dagegen kann ich wenig machen, höchstens einen Skandal anzetteln oder den Dienst quittieren. Dazu hab ich aber keine Lust.«
Ragnhildur stellte sich auf die Zehenspitzen und verpasste ihm einen Kuss auf die Wange. »Fein«, sagte sie vergnügt. »Dann sind die also doch noch nicht von allen guten Geistern verlassen, diese hohen Herren. Und jetzt sei doch nicht so negativ, niemand sagt, dass du so wie Svavar sein musst, nur weil du seinen Posten übernimmst.«
»Da besteht wenig Gefahr«, knurrte Stefán.
»Und wer wird dein Nachfolger? Katrín?«
Stefán nickte. »Wenn ich etwas zu entscheiden habe, ja.«
Wieder musste Ragnhildur lächeln. »Genau das wird doch der Fall sein«, sagte sie aufmunternd, »in dem Augenblick, wo du deine neue
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