Joyland
aber als sie aus ihrem Morgenrock schlüpfte und nackt vor mir stand, war eine Cola das Letzte, was ich wollte. Das zweite Mal lief ein bisschen besser; ich glaube, ich hab's auf vier Minuten gebracht. Dann stieß sie leise Schreie aus, und es war um mich geschehen. Aber was für ein Abgang!
*
Wir dösten eine Weile, wobei Annie den Kopf in meine Schulterbeuge gelegt hatte. »Okay?«, fragte sie.
»So okay, dass ich's gar nicht fassen kann.«
Ich sah ihr Lächeln nicht, aber ich spürte es. »Nach all den Jahren wird dieses Zimmer endlich mal für etwas anderes benutzt als zum Schlafen.«
»Hat dein Vater jemals hier gewohnt?«
»Das ist ziemlich lange her, und ich bin nur zurückgekehrt, weil Mike es hier so toll findet. Manchmal kann ich der Wahrheit ins Auge blicken, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sterben wird, aber die meiste Zeit gelingt mir das nicht. Ich verdränge es einfach. Ich treffe Übereinkünfte mit mir selbst. ›Wenn ich nicht mit ihm nach Joyland gehe, stirbt er nicht. Wenn ich mich nicht mit Dad aussöhne, stirbt er nicht.‹ Vor zwei Wochen, als er zum ersten Mal die Jacke anziehen musste, weil es draußen langsam kalt wird, musste ich weinen. Er hat mich gefragt, was los ist, und ich hab ihm erklärt, ich hätte meine Tage. Er weiß, was das ist.«
Mir fiel ein, was Mike auf dem Krankenhausparkplatz zu ihr gesagt hatte: Es muss nicht das letzte Mal sein, dass wir miteinander Spaß haben. Aber früher oder später würde es so weit sein. Wie bei jedem von uns.
Sie setzte sich auf und zog die Decke nach oben. »Erinnerst du dich, wie ich gesagt habe, dass Mike meine großartige Zukunft war?«
»Ja.«
»Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Jenseits von Mike ist … nur eine große Leere. Wer hat einmal gesagt, in Amerika gäbe es keinen zweiten Akt?«
Ich nahm ihre Hand. »Mach dir mal keine Gedanken um den zweiten Akt, solange der erste noch nicht vorbei ist.«
Sie entzog mir ihre Hand und strich mir übers Gesicht. »Du bist zwar jung, aber gänzlich dumm bist du nicht.«
Es war nett von ihr, das zu sagen, aber ich kam mir trotzdem ziemlich dumm vor. Wegen Wendy zum Beispiel, aber das war nicht der einzige Grund. Meine Gedanken kehrten unversehens zu den verdammten Bildern in Erins Mappe zurück. Irgendetwas …
Sie ließ sich aufs Bett zurücksinken. Die Decke rutschte ihr von den Brüsten, und ich spürte, wie sich bei mir wieder etwas regte. In mancher Hinsicht war es tatsächlich klasse, einundzwanzig zu sein. »Die Schießbude hat Spaß gemacht. Manchmal vergesse ich, wie toll es ist, wenn Hand und Auge so gut aufeinander abgestimmt sind. Mein Vater hat mir zum ersten Mal ein Luftgewehr in die Hand gedrückt, da war ich sechs. Nur ein Einzellader, aber ich fand's großartig.«
»Echt?«
Sie lächelte. »Echt. Dabei kamen wir gut miteinander aus – das war unser Ding. Das einzige, wie sich herausstellen sollte.« Sie stützte sich auf einen Ellbogen auf. »Mit diesem ganzen Geschwätz von Hölle und Fegefeuer hat er schon gut verdient, als er noch ein Teenager war, aber dabei geht's ihm nicht nur ums Geld. Schon seine Eltern waren Landprediger, und ich bezweifle nicht, dass er jedes Wort glaubt. Aber weißt du, was? Er ist immer noch zuerst Südstaatler und dann Prediger. Sein Pick-up ist eine Spezialanfertigung, die fünfzigtausend Dollar gekostet hat, aber ein Pick-up ist eben ein Pickup. Er isst immer noch Brötchen mit Bratensoße bei Shoney's. Seine Vorstellung von feinsinnigem Humor ist Minnie Pearl und Junior Samples. Er liebt Lieder übers Saufen und über betrogene Männer und Frauen. Und er liebt seine Gewehre. Seine Vorstellung von Jesus gefällt mir nicht, und ich will auch keinen Pick-up besitzen, aber die Gewehre … das hat er an seine einzige Tochter weitergegeben. Wenn ich rumballern kann, geht's mir besser. Ziemlich beschissenes Vermächtnis, was?«
Ich sagte nichts dazu, sondern stand nur auf und öffnete die beiden Flaschen. Eine davon reichte ich ihr.
»In seinem Haus in Savannah, seinem Hauptwohnsitz, hat er wahrscheinlich fünfzig Stück, die meisten davon wertvolle Sammlerstücke, und ein weiteres halbes Dutzend befindet sich hier in einem Safe. In meiner Wohnung in Chicago habe ich selbst zwei Gewehre, auch wenn ich seit zwei Jahren auf keine Zielscheibe mehr geschossen hab. Bis heute. Falls Mike stirbt …« Sie hielt sich die Colaflasche an die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. »Wenn Mike stirbt, werde ich sie als
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