Judasbrut
Als sie letzte Woche bei mir anrief, hatte sie einen starken Husten,
deswegen finde ich es eigentlich verwunderlich, dass nicht mal Hustensaft da
war.« Maria zuckte mit den Schultern. »Alle Taschen, Koffer – sogar
ihre Handtasche mit ihren Papieren – scheinen vorhanden zu sein. Haus- und Autoschlüssel ebenso, das Auto steht auf
dem Parkplatz vor dem Haus und Kontobewegungen gab es seit Mitte letzter Woche
keine. Ihr Arbeitszimmer wurde durchsucht, ihr Computer fehlt.«
Gerade
kam Olaf mit einem Tablett. »Bitte sehr, die Dame.« Er stellte Maria ein Radler
hin und küsste sie. »Bezahlung akzeptiert.« Dann stellte er vor Holzapfel ein
Weizenglas. »Für Sie umsonst, mein Herr.«
Holzapfel
schmunzelte. »Wollt ich auch meinen.«
Nachdem
Olaf die beiden anderen Gläser hingestellt hatte, gesellte er sich erneut zu
Elfriede, die an der Schlange fürs Essen anstand. Ihre drei Tischgenossen
erhoben sich. Als der Mann am anderen Ende der Bank aufstand, drohte die Bank
zu kippen.
»Hoppla!«
Maria zuckte zusammen und rutschte weiter in die Mitte.
»Verzeihung!«
Der Mann mit der Baseballkappe lächelte Maria zu.
»Nichts
passiert.« Sie erwiderte das Lächeln. Im Gegensatz zu den anderen beiden wirkte
er gar nicht verkniffen, sondern zwinkerte freundlich hinter den eckigen
Brillengläsern.
Holzapfel
paffte derweil an der Pfeife und stopfte dabei den Tabak fest. »Hört sich alles
sehr eigentümlich an«, murmelte er an dem Mundstück vorbei.
»Eben.«
»Woran
hat sie gearbeitet? Hat sie vielleicht zu Hause irgendwelche Unterlagen aus dem
Institut gehabt?«
»Du
denkst in Richtung Industrie- oder Wissenschaftsspionage? Möglich. Schließlich
ist sie Eichmüllers persönliche Assistentin und hat im Institut nahezu
unbegrenzten Zugang zu allem. Eichmüller und anderen Mitarbeitern sind keine
Unregelmäßigkeiten aufgefallen – also fehlende Unterlagen oder
außergewöhnliches Interesse von Frau Esser an bestimmten Forschungsbereichen.
Außerdem wüsste ich im Moment nicht, was Sara Eichmüller mit
Wirtschaftsspionage zu tun haben sollte.«
»Was
habt ihr sonst?«
Maria
zuckte mit den Schultern. »Die Wohnung wirkt, als habe jemand gründlich sauber
gemacht. Überall Spuren von Putz- und Desinfektionsmitteln. Wir haben ein paar
Fingerabdrücke und im Bad haben wir DNA gefunden – sie
stammen von einem Mann, aber mehr wissen wir noch nicht. Du weißt ja, wie lange
das manchmal dauert. Frau Essers Schwester sagte, Bianca habe in Erlangen kaum
Freunde gehabt und selten jemanden in ihre Wohnung eingeladen.«
Holzapfel
gab einen überraschten Laut von sich. Dann nahm er die Pfeife aus dem Mund.
»Hat Eichmüller eigentlich freiwillig eine DNA-Probe abgegeben?«
»Ja,
das hat er. Allerdings weiß er nichts von den ominösen Spuren in Biancas
Wohnung. Er hat unabhängig von der Schwester ebenfalls bestätigt, dass es außer
ihm keine regelmäßigen Besucher gab … tja,
die Eine-Millionen-Euro-Frage lautet also: Wer ist der rätselhafte Unbekannte?«
Sie zuckte mit den Augenbrauen.
»Nämlich?«
»Cohen
war Montagnachmittag nicht in der Praxis – angeblich in einem Möbelhaus in Poppenreuth, um sich eine Küche planen zu
lassen.«
»Ist das
überprüfbar?«
»Es
kann sich keiner der Angestellten an ihn erinnern – kein
Alibi also, doch das Gegenteil kann ich ihm nicht beweisen – es
reicht einfach nicht für eine Festnahme.«
»Motive?«
»Keine,
außer Eifersucht, aber warum fehlt dann der Computer?« Maria tappte mit den
Fingern auf dem Tisch herum. »Dass er mit ihr telefoniert hat, ist ja kein
Verbrechen, für das ich ihn festnehmen kann, um eine DNA-Probe und seine
Fingerabdrücke zu bekommen. Selbst wenn er dort war, würde das noch nichts
endgültig beweisen. Wir lassen ihn im Moment observieren, doch entweder ist er
ein fantastischer Schauspieler oder er hat wirklich nichts damit zu tun. Oder
ich übersehe etwas. Außerdem frage ich mich, warum Frau Esser das Ziel war und
nicht Eichmüller, der ja quasi auf dem Silbertablett daher kam.«
»Was
ist mit diesem Professor Leibl?«
»Der
tut sein Bestes, um jeden lieb zu haben, jedenfalls scheint er mir ziemlich
überfordert«, stellte Maria mit einer gehörigen Portion Sarkasmus fest. »Ich
hätte erwartet, dass er Dr. Eichmüller wegen seiner Affären wenigstens
kritisiert, aber das tut er nicht. Er bleibt die ganze Zeit sehr … neutral.«
»Sonstige
Beweggründe?«
Ratlos
zuckte Maria mit den Schultern. »Nichts.«
»Geld?«
Bevor
sie
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