Judasbrut
Trennung. Letztes Jahr hatte
Leonhard wieder einmal eine Freundin. Ich rief meinen Bruder an, um mich bei
ihm auszuweinen. Er konnte Leonhard nie besonders gut leiden und in so einem
Moment kam mir das ganz gelegen.« Sie lächelte schief. »Zufällig fiel der Name
von Leonhards neuester Flamme. Perez wurde hellhörig, denn Heidrun Lorenz stand
seit geraumer Zeit im Verdacht, Beziehungen zur linken Szene zu haben. Zufällig
war Perez schon eine Weile in Berlin an genau dem Thema dran.«
»Weiß
Ihr Mann, dass Ihr Bruder beim Verfassungsschutz ist?«, erkundigte sich Maria.
Sara
schüttelte den Kopf. »Perez führt ein Doppelleben. Außer mir und unseren Eltern
war Abba … ich meine Matti … er war der Einzige, den er
darüber informiert hat, was er wirklich tut. Allen anderen hat er erzählt, er
sei bei der Kripo in Köln. Bereich Jugendkriminalität. Nichts Aufregendes. Er
hat es all die Jahre gut verstanden, sich zu verstellen.« Sie stockte und
strich sich mit einer anmutigen Geste ihre Haare aus der Stirn.
»Erzählen
Sie bitte weiter.«
»Zuerst
glaubten wir an Zufall, aber mit der Zeit erschien mir diese Beziehung
merkwürdig, weil diese Heidrun in Berlin wohnte und bis dahin Leonhards
Freundinnen ausnahmslos aus der näheren Umgebung gewesen waren – oder
Urlaubsliebschaften, mit denen er anschließend nie wieder Kontakt hatte.
Außerdem hatte Perez herausgefunden, dass die Lorenz in Berlin einen festen
Freund hatte. Dieser Mika Großmann wusste anscheinend sogar von der Beziehung
zu meinem Mann. Perez hatte sich inzwischen im kb etabliert. Die beiden machten
einen Teil des kb mobil, noch mehr und noch größere Anschläge zu verüben. Perez
sagt, ihr Ziel sei es, die Wirtschaft für eine Weile großflächig lahmzulegen.
Weiß der Himmel, wie sie schließlich darauf kamen, aber sie wollten dazu eine
Biowaffe nutzen – und sie brauchten jemanden, der sie ihnen baut.«
»Ihren
Mann?«
Sara
nickte. »Wie Leonhard und die Frau zusammengetroffen sind, weiß ich nicht. Es
dauerte lange, bis Perez endlich dahinter kam, was sie eigentlich planten.
Perez durfte Leonhard gegenüber ja nicht in Erscheinung treten, außerdem waren
Großmann und Lorenz extrem vorsichtig, wem sie vertrauten. Zum Beispiel haben
sie Perez bis heute nicht Leonhards Namen genannt, sondern immer nur von ›dem
Wissenschaftler‹ geredet. Als Perez den Verdacht äußerte, dass Leonhard damit
gemeint sein könnte, warf ich heimlich ein Auge auf das Institut. Abba hat
Zugang zu allen Bereichen und ich weiß, wo er seine Schlüssel hat.« Sie
lächelte wie ein kleines Mädchen, das heimlich genascht hatte. »Wenn Leonhard
auf Reisen war – und das war er häufig – konnte
ich leicht hinein. Schließlich war ich mir sicher, dass Leonhard dort an
mehreren Erregern arbeitet, die eigentlich nichts mit seinen sonstigen
Forschungen zu tun hatten.«
»Das
ist Verrat an der Wissenschaft!«, warf Michelle heftig ein. »Tut mir leid, aber
ich konnte noch nie verstehen, wie man als Mediziner denMenschen
bewusst Schaden zufügen kann. Also echt!«
Es war
Trauer, die Saras Gesicht überzog. Oder Enttäuschung. Oder beides. »Sie haben
völlig recht, Frau Schmitz. Als ich Anfang der 90er Leonhard kennenlernte, war
er ein Visionär und gerade dabei, das Institut zu gründen. Sein großer Traum
war es immer gewesen, Krankheiten zu besiegen, den Menschen zu helfen – aber
er wollte auch großartig und berühmt werden.« Sie schnaubte abfällig. »Der
Nobelpreis käme ihm wahrscheinlich gelegen. An Selbstbewusstsein hat es ihm nie
gemangelt – höchstens an Geld, denn für die Forschung genügend Gelder
bewilligt zu bekommen, ist schwer. Er interessierte sich für neue
Forschungsgebiete, aber zusätzlich und ganz besonders für ungewöhnliche
Therapieformen, die halfen, wenn andere versagten. Als die Grenzen nach Osten
geöffnet wurden, fuhr er das erste Mal nach Tiflis in Georgien an das
Eliava-Institut für Phagentherapie. Seitdem war er geradezu besessen davon.«
»Was
sind Phagen?«, hakte Maria gleich ein, weil sie vorhin den Begriff auch von
Perez gehört, aber nicht hatte einordnen können.
»Bakteriophagen
sind Viren, die für Therapiezwecke genutzt werden«, erklärte Sara.
»Ich
dachte, Viren machen krank und nicht gesund«, warf Michelle ein.
»Wenn
Sie so wollen, ist es eine Kriegslist: Der Feind deines Feindes ist in diesem
Fall dein Freund. Bakteriophagen befallen krankmachende Bakterien und bringen
sie dazu, die ursprüngliche
Weitere Kostenlose Bücher