Judasbrut
Bakteriophage zu replizieren. Bei dem Prozess löst
sich der Erreger auf und wird unschädlich gemacht. Die neuen Phagen befallen
wieder Bakterien und so weiter. ›Bakterienfresser‹ wurden sie früher genannt.
Eine sehr effektive Art, Bakterien loszuwerden und ganz besonders gut geeignet
für solche, gegen die Antibiotika nicht oder nur unzureichend wirken. Außerdem
sind Nebenwirkungen bislang nahezu unbekannt. Manche nennen sie eine
›Wunderwaffe‹ – wobei ich das übertrieben finde.« Sara drehte die Handflächen
nach oben.
»Wo ist
der Haken?«, fragte Michelle, die sehr interessiert zugehört hatte. »Wenn es
diese Wunderwaffe schon seit 20 Jahren gibt, müsste man die doch kennen.«
Sara
schmunzelte. »Es gibt sie sogar seit über 100 Jahren. Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts wurde von
verschiedenen Wissenschaftlern daran geforscht. Felix d’Herelle war der
bekannteste und wurde dafür sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen. Leonhard
würde natürlich nur zu gern in seine Fußstapfen treten. Der Begriff
›Bakteriophagen‹ stammt von d’Herelle. Er gründete mit seinem Freund Georgi
Eliava das Institut in Tiflis. Der Haken der Therapie liegt in der Herstellung.
Früher schienen die Phagen manchmal unwirksam zu sein oder die Patienten
erkrankten an einer Sepsis und starben, aber das lag an den unhygienischen
Bedingungen bei der Herstellung – nicht an den Phagen selbst.
Phagen kommen in der Natur überall da vor, wo es auch Bakterien gibt. Besonders
also an sehr schmutzigen Orten – Weiher, Tümpel, Kloaken sind
ein sehr guter Ort, um viele unterschiedliche Phagen zu finden.«
»Igitt!«
Michelle schüttelte sich demonstrativ.
»Doch
bis man herausfand, dass nicht die Phagen, sondern unzureichend gefilterte und
gesäuberte Lösungen am Scheitern einer Behandlung Schuld waren, hatten die
Antibiotika den Phagen längst den Rang abgelaufen. Nur in der ehemaligen
Sowjetunion, wo man sich teure Medikamente nicht leisten konnte, hat die
Phagentherapie jahrzehntelang überdauert. Die Herstellung selbst ist leicht und
billig. Hier in Deutschland ist die Anwendung verboten, denn es ist zwar möglich,
eine sehr teure, klinische Studie für einen bestimmten Phagentyp durchzuführen.
Aber: Bakterien passen sich ständig an, daher tun das auch die Phagen. Für die
Behandlung ist das kein Problem, denn man sucht die Phagen individuell für den
Patienten aus, nur kann man nicht für jeden mutierten Phagus neue klinische
Studien betreiben – geschweige denn bezahlen.«
Maria
tippte sich mit dem Zeigefinger auf das Kinn. »Und diese Therapie hat was genau
mit der Biowaffe zu tun?«
»Wir
wussten die ganze Zeit nicht sicher, um welchen der infrage kommenden Erreger
es sich handelt. Leonhard hat, soviel ich herausfinden konnte, mit mehreren
experimentiert. Es gab eine Reihe von Möglichkeiten, aber laut Meldungen in der
Zeitung über die Hasenpest kann es jetzt nur noch der sein. Die Tularämie ist
hochvirulent, als Aerosol oder über das Trinkwasser leicht zu verbreiten, ein
exzellenter, biowaffenfähiger Erreger. Und wenn die kb anfängt, es im großen
Stil zu verbreiten und viele Menschen krank werden … «
»…
kommt er als Retter der Menschheit mit seinen Phagen daher«, ergänzte Michelle
zynisch. »Was für ein Arschloch. Verzeihung!«
Sara
lächelte schmallippig. »Kein Problem. Normalerweise ist die Tularämie mit
Antibiotika zu behandeln, aber bei Bianca hat das Doxycyclin nicht angeschlagen,
daher ist nicht auszuschließen, dass Leonhard für eine Resistenz gesorgt hat.«
»So was
geht?«, wollte Michelle wissen.
»Natürlich«,
fuhr Sara fort. »Schließlich will Leonhard ja der Menschheit einen Dienst
erweisen, indem er die Wirksamkeit der Phagen möglichst eindrucksvoll der
Öffentlichkeit beweist. Auch wenn ich es nicht gern zugebe: So ganz unrecht hat
er damit vielleicht nicht.«
»Wie
bitte?« Schockiert sah Maria sie an und auch Michelle hatte sich abrupt
umgewandt.
Seufzend
schob sich Sara wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ich erspare Ihnen,
woran weltweit alles geforscht wird. Es wäre daher tatsächlich sinnvoll, sich
mit neuen Behandlungsmethoden zu beschäftigen. Allerdings wohl eher nicht so.«
»Haben
Sie Beweise für die Beteiligung Ihres Mannes an der Sache? Hat er vielleicht
Geld dafür bekommen, das wir auf irgendwelchen Konten finden können?«
Bedauernd
schüttelte Sara den Kopf. »Genau das ist das Problem. Bisher haben wir noch
nichts Konkretes.
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