Judassohn
drohe dir nicht, Neffe. Ich
befehle
es dir. Vergiss nicht, wem du dein Leben und dein Wissen verdankst! Ohne mich wärst du von den Menschenfressern in kleine Stückchen gerissen worden.« Er hatte schnell, aber beherrschter gesprochen.
»Ja, Oheim. Verzeih mir meinen Undank. Aber es liegt mir im Blut, mich als Räuber …«
»Es liegt dir im Blut, ein Wissenschaftler zu sein, gerade wie deine Mutter und ich!«, unterbrach Marek ihn. »Das Menschliche in dir setzt dir diese Flausen in den Kopf. Vertreibe es, bevor es dich das Leben kostet.« Er sah auf die verteilten Bücher und die verschüttete Tinte.
Dominic fiel es schwer, ihm nicht in den Weg zu treten unddie Sicht auf die Notizen zu versperren. So würde er die Aufmerksamkeit nur erst recht wecken.
Sein Oheim schüttelte den Kopf. »Schade um die antiken Abschriften. Nicht wegen des Inhalts, aber wegen des Wertes.« Er richtete sich auf und wandte sich zum Gehen. »In einem Monat möchte ich nicht von dir enttäuscht werden, Neffe«, sprach er von der Tür aus. »Die Cognatio hegt große Erwartungen.« Damit verschwand Marek.
Diese Gesellschaft kann mich am Arsch küssen.
Dominic ging in die Knie, nahm feinen Löschsand und Löschpapier und kämpfte damit gegen den See aus schwarzer Tinte an, der sich über die Blätter ausgebreitet hatte. Metunova hatte ihm zu viel von den Machenschaften der Baroninnen und Barone erzählt, um sich auf ein Treffen mit ihnen zu freuen oder wenigstens unvoreingenommen zu erscheinen.
Sein Notizbuch hatte zwei Seiten aus den Anfangszeiten bei Marek eingebüßt: Es ging um die Vampyrsorten der Nex und Tenjac.
Pestbringer und Traumschicker.
Wissen, das er verinnerlicht hatte. Er war erleichtert.
Sorgsam präparierte Dominic die anderen verschmutzten Bücher. Er dachte nicht daran, sich die Floskeln einzuprägen, die ihm Marek vorgelegt hatte, damit er vor der Cognatio gleich einem dressierten Tier erschien, das artig seine Kunststücke machte und Phrasen nachplapperte.
Entweder sie akzeptieren mich, oder sie lehnen mich ab.
Marek hatte ihn gewarnt, dass eine Ablehnung den Tod des Eleven bedeutete. Das hatte sich aber, wie Metunova berichtete, auf lebende Menschen bezogen, nicht auf bereits zu Vampyren gewandelte. Dazu war er eine Besonderheit: Scyllas Sohn.
Sollten sie mir zu nahe kommen, gehe ich und bleibe bei Metunova.
Dominic empfand viel Dankbarkeit für die Judastochter, dieihn unermüdlich unterrichtete. Octavius verfolgte die Lektionen gelegentlich als Gast. Er und die Baronin schienen liiert zu sein, auch wenn es niemals einen Liebesbeweis gab. Dominic verließ sich dabei auf sein Empfinden.
Er drehte das Buch um, klopfte den feuchten, mit Tinte vollgesogenen Sand in den Kehrichteimer und betrachtete die geretteten Seiten. Seine Blicke blieben an einer Skizze hängen.
Das Mal!
Schnell raffte er den Ärmel in die Höhe und verglich die Zeichnung mit dem roten Fleck, der auf seinem Unterarm prangte.
Das ist es!
Der Freude folgte die Ernüchterung: Das Werk war auf Italienisch verfasst worden, ebenso die handschriftlichen Ergänzungen am Rand und mitten im Text.
Metunova!
Die Baronin würde ihm bestimmt helfen und mehr über den Dämon wissen wollen, dem sie ungewollt dienten. Dominic steckte den kostbaren Fund in seinen Rucksack, um ihn später mit in seine Kammer zu nehmen.
Er suchte in seinen eigenen Aufzeichnungen die Hintergründe zum Vater der Kinder des Judas, der vor mehr als fünfhundert Jahren gelebt hatte.
Metunova hatte ihm gesagt, dass es seine Mutter gewesen sei, die den Mythos vernichtet hatte. Den Mythos, dass sie von Judas Ischariot abstammten und gesegnet seien. Eine Lüge.
Kasparzek lautete der wahre Name des Mannes, der den Pakt mit diesem speziellen Dämon eingegangen war. Er hatte den Codex selbst aufgestellt, um sich zu etwas Besonderem zu machen. Kasparzek hatte auch verstanden, dass Vampyre nicht unsterblich waren und sie nach Ablauf ihrer Existenz die Seelen an den Dämon verloren. Somit lautete die Erkenntnis: Nur durch Unsterblichkeit entkam man diesem Schicksal. Zur Unsterblichkeit wiederum führte die Alchimie. So schrieb Kasparzek die Pflichtzur Forschung in diesem kruden Codex fest und tarnte sie als Nächstenliebe: Die Kinder des Judas brauten Tränke, um den Menschen zu helfen.
In Wahrheit haben sie die Dörfler für ihre Experimente benutzt.
Dominic empfand Faszination, doch gleichzeitig wusste er, dass er niemals ein Judassohn in Mareks Sinn sein könnte.
Scylla hat
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