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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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erwartet, wenn Sie eine Kiste mit persönlichen Briefen unverschlossen hinstellen?«
    »Anstand? Oder zumindest Zurückhaltung, was das Private angeht? Ich bin bei Ihnen zu Hause auch nicht eingebrochen und habe geschnüffelt.« Er machte einen enttäuschten und erleichterten Eindruck, als hätte er es halb erwartet. »Sie sind ja schon ohne meine Einwilligung durch mein Haus geschlichen.«
    Sia durchschaute das Ablenkungsmanöver.
Ich will Antworten.
»Was ist es nun, dieses Sanctum? Was hat es vollbracht und was nicht?«
    Eric fuhr langsamer. Es wirkte, als würde der X6 spüren, dass sein Fahrer nachdachte und in seiner Aufmerksamkeit nachließ. »Ich weiß von den Dämonenpakten, die man eingeht. Zwangsweise eingeht, wenn auch in einem anderen Zusammenhang als bei Ihnen. Meine Halbschwester hat mir davon erzählt.«
    »Bruder und Schwester im gleichen Geschäft – das ist doch mal eine Familie.« Sia musste ihrer Überraschung einfach Luft machen.
    »Halbschwester. Nein, wir sind nicht im gleichen Geschäft. Es ist … schwierig zwischen uns.« Eric fuhr jetzt die vorgeschriebenen neunzig Stundenkilometer auf der französischen, nächtlichen Landstraße, was Sia unendlich langsam vorkam.
    Parallel zu ihnen floss ein schmaler Fluss entlang, und automatisch hielt sie nach vorne Ausschau, ob ihre Straße einen Schwenk auf eine Brücke machte. Ein Verhalten, das sie nicht abstellen konnte.
    »Jedenfalls haben mir ihre Schilderungen dabei geholfen zu verstehen, was bei mir schiefgelaufen ist«, sprach er bedächtig.
    »Bei der … Anwendung des Sanctum?« Sie konnte sich nichts darunter vorstellen. »Was ist das Heiligste? Das wäre doch die Übersetzung für Sanctum. Und ich will nicht raten. Ich bin nicht der Quiztyp.«
    »Sie haben recht: das Heiligste. Nach christlichen Maßstäben ist es das Heiligste auf Erden: das Blut Christi.«
    »Sie wollen mir sagen, dass Sie … Reste gefunden haben?«
Verrückte Vorstellung. Mehr als zweitausend Jahre alte Reliquien.
    »Nicht ich. Es gab einmal einen Nonnenorden, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, Wandelwesen zu fangen und zu heilen. Genau genommen war es die Austreibung des Dämons aus dem Körper mit Hilfe des Blutes von Christus. Hardcore-Exorzismus zum Einnehmen.«
    In Sias Kopf rotierten die verschiedenen Gedanken mit Lichtgeschwindigkeit.
Kann das sein? Es gibt einen Weg, den Pakt zu brechen! Und ich habe Jahre der Forschung damit verbracht, um …
Sie zügelte die Vorfreude auf eine mögliche Heilungshoffnung für Elena und Emma. Denn bei Eric hatte das Sanctum versagt. »Was ist bei Ihnen schiefgegangen?«
    »Ich bin einst ein Wandler gewesen, ein Werwolf. Kennen Sie die Legende von Gévaudan aus dem achtzehnten Jahrhundert?« Sia machte eine Handbewegung, die »in etwa« bedeutete. »Einer meiner Vorfahren wurde damals mit dem Keim der Bestie infiziert, und alle aus der Linie von … aus meiner Linie haben sich die Kräfte des Tiers zunutze gemacht, um andere Wandler zu jagen und zu eliminieren«, erzählte er ruhig. »Dabei bin ich an diesen Nonnenorden geraten, für den meine Halbschwester arbeitete. Nachdem ich die Frau kennengelernt hatte, mit der ich leben wollte, habe ich mich entschieden, das Sanctum zu nehmen. Um die Bestie und den Dämon auszutreiben und eine Existenz ohne Zwänge führen zu können. Zu dürfen.« Er musste schlucken. »Anfangs sah es gut aus. Ich habe nicht an meiner Heilung gezweifelt. Den Silbertest hatte ich bestanden, es vermochte mir nichts anzuhaben. Ich wäre niemals darauf gekommen, dass ein Rest des Dämons in mir geblieben ist.«
    In Sia erlosch die Freude. »Dann ist das Sanctum doch nicht …«
    »Bei allen anderen fruchtete es, oder sie starben direkt im Verlauf der Anwendung. Verzögerungen waren unbekannt, aber … Ich scheine eine Ausnahme zu sein.« Er atmete bewegt durch. »Den Orden kann ich nicht mehr fragen, er wurde durch einen Anschlag vernichtet. Daher bleibt mir nur die Spekulation. Vielleicht war das Sanctum, das ich bekommen habe, in seiner Wirkung abgeschwächt. Verunreinigungen, das hohe Alter – wer weiß es schon?«
    Sia konnte sich nicht vorstellen, wie Blut zweitausend Jahre überstand. »War es zu Pulver getrocknet und man hat es wieder flüssig gemacht?«
    »Ich sage mal, ja. Die Frauen, die die Geheimnisse kennen, haben sie nicht mit mir geteilt. Jetzt ist es zu spät, genauer nachzuhaken.« Eric steuerte auf einen Autobahnzubringer zu. »Die überlegenen Kräfte, die ich in mir

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