Judith McNaught
hielt den Kopf hoch erhoben, ihre Lippen waren rosig von seinen Küssen und
ihre weiche Haut schien von innen her zu leuchten. Im Gegensatz zu dem Bild
ruhiger Gelassenheit, das ihre kühle elfenbeinfarbene Robe vermittelte, floß
ihr Haar offen über ihre Schultern und ihren Rücken wie ein seidiger Mantel aus
anmutigen Wellen und Locken.
Sherry schien es eine Ewigkeit zu
dauern, bis sie sich einen Weg durch die Gäste gebahnt hatten, die den Earl an
der Brüstung, auf der Treppe und im Ballsaal aufhielten, um mit ihm zu reden –
was ihr nicht das Geringste ausgemacht hätte, wenn nicht alle Gespräche mit
scherzenden Anspielungen durchsetzt gewesen wären, die sie schrecklich peinlich
berührten. »Ach, Langford«, sagte ein Gentleman im Vorraum lachend, kaum daß
der Butler ihre Namen angekündigt hatte, »ich hörte, daß Sie seit neuestem
eine Vorliebe für die Bälle im Almack's entwickelt haben!«
Der Earl sah ihn in komischem
Entsetzen an, aber das war nur der erste von vielen Scherzen gewesen. Einen
Augenblick später griff ein anderer Mann ein, als ein Diener Stephen und Sherry
gerade die letzten beiden Gläser Champagner auf seinem Tablett anbieten
wollte. »Nein, nein, nein!« sagte er zu dem verwirrten Diener, nahm die beiden
Gläser vom Tablett und stellte sie außerhalb ihrer Reichweite ab. »Seine
Lordschaft zieht neuerdings Limonade vor. Oh, und achten Sie bitte darauf, daß
sie schön warm ist«, wies er den Diener an, »genauso, wie sie im Almack's
serviert wird.«
Der Earl beugte
sich vor und sagte etwas zu dem Mann, worauf dieser in schallendes Gelächter
ausbrach. Und während sie langsam ihren Weg die Treppe hinunter fortsetzten,
hörten die Frotzeleien nicht auf ...
»Langford, stimmt das wirklich?«
scherzte ein Mann im mittleren Alter, als sie endlich den Ballsaal erreicht
hatten. »Hat dich bei Almack's wirklich so ein rothaariges Ding mitten auf der
Tanzfläche stehengelassen?« Stephen wies mit dem Kopf bedeutungsvoll auf
Sherry, womit er zugab, daß es stimmte, und daß sie »das rothaarige Ding« war.
Umgeben von zahlreichen weiteren Gästen, die ihnen zusahen, bat der andere Mann
darum, vorgestellt zu werden. Dann grinste er sie breit an. »Meine liebe junge
Dame, es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen«, erklärte er und ergriff ihre
Hand, um sie galant zu küssen. »Bis heute abend habe ich nicht geglaubt, daß es
auch nur eine Frau auf Erden gäbe, die dem Charme dieses Teufelskerls nicht
erliegt.«
Wenige Augenblicke später sagte ein
älterer Mann, der sich schwer auf seinen Stock stützte, mit meckerndem Lachen:
»Habe gehört, Ihre Tanzkünste sind auch nicht mehr das, was sie mal waren,
Langford. Wenn Sie morgen vorbeikommen wollen, gebe ich Ihnen ein paar Stunden
Unterricht.« Überwältigt von seinem eigenen Witz klopfte er mit seinem Stock
nachdrücklich auf den Fußboden und kicherte vor Vergnügen.
Der Earl ertrug alles mit amüsierter
Nachsicht und fand auf die meisten Einwürfe eine Antwort, Sherry jedoch wahrte
nur mit größter Anstrengung eine äußerlich gelas sene Miene. Sie war entsetzt
darüber, wie aufmerksam er beobachtet wurde und wie schnell sich Gerüchte über
ihn verbreiteten. Jeder, aber auch wirklich jeder schien über alle seine
Schritte in den letzten Stunden informiert zu sein, und sie hatte die
entsetzliche Vision von Leuten, die sich die Nase an den Fenstern ihrer Kutsche
plattdrückten und hinter ihnen herspionierten.
Allein der Gedanke daran, was sie
gesehen haben könnten, brachte ihre Wangen zum Glühen. Das fiel auch Miss
Charity auf, als sie sie in der Menge ausfindig gemacht hatten. Sie stand mit
Whitney und Clayton in einer Gruppe von Freunden der Westmorelands. »Meine
Güte«, rief sie fröhlich aus, »Sie haben aber eine gute Farbe, meine Liebe. Wie
Erdbeeren und Sahne, so kommen Sie mir im Moment vor. Die Fahrt in der Kutsche
mit dem Earl muß Ihnen äußerst gutgetan haben! Als wir bei Almack's wegfuhren,
waren Sie noch ganz blaß.«
Sherry begann, heftig ihr Gesicht zu
fächeln, und erst dann merkte sie, daß einige Mitglieder der WestmorelandEnklave
sich herumgedreht hatten, weil sie darauf warteten, vorgestellt zu werden, und
daß sie alles hörten. Auch ihr Verlobter hatte es gehört, er trat näher an sie
heran und blickte mit einem wissenden Lächeln auf sie hinunter. »Hat es Ihnen
äußerst gutgetan, meine Süße?« fragte er.
Trotz ihrer beschämenden, mißlichen
Lage mußte sie lachen. »Sie Schuft!« flüsterte sie
Weitere Kostenlose Bücher