Judith
sich zu ihr und faßte nach ihrem Arm. Aber sie rührte sich nicht. Da beugte er sich über sie und preßte seinen Mund auf ihre Lippen. Ihre Augen starrten unverwandt nach oben, und sie reagierte nicht auf seinen Kuß.
»Was ist mit dir? « wollte er wissen.
»Was soll mit mir sein, mein Gebieter? « Ihr Blick wandte sich ihm zu, aber ihre Augen blieben ausdruckslos. »Befiel mir, was du von mir willst, und ich werde mich danach richten. «
Er spürte ihren Schenkel dicht an seinem, und es wurde ihm bewußt, daß sie die Beine für ihn spreizte. Das machte ihn noch fassungsloser.
»Judith«, begann er, »ich will dir erklären, was heute morgen… «
»Es gibt nichts, was du mir erklären mußt. Du gibst deinen Untergebenen doch auch keine Erklärungen ab, oder? Ich bin dir untertan wie sie. Sag mir nur, wie ich dir zu Willen sein kann, und ich werde gehorchen. «
Gavin wich ein Stück zur Seite. Es gefiel ihm nicht, wie Judith ihn ansah. Als sie ihn gehaßt hatte, war wenigstens Leben in ihren Augen gewesen. Doch jetzt waren sie so unnatürlich starr.
Er verließ das Bett, zog Hose und Hemd und die Stiefel an und nahm die restlichen Sachen über den Arm. Dann eilte er aus dem Gemach, das so von der Kälte erfüllt war.
9. Kapitel
In der Burg der Montgomerys herrschte tiefe Stille, als Judith das große Bett verließ und in ihren dunkelgrünen, mit Nerz abgesetzten Samtmantel schlüpfte.
Noch schien niemand im Haus wach zu sein. Seit Gavin sie auf der Schwelle von Montgomery Castle abgesetzt hatte, war es Judith nicht möglich gewesen, Schlaf zu finden. Das Bett erschien ihr zu groß und zu leer.
An dem Morgen, als sie sich geweigert hatte, auf seine Liebesbezeigungen zu reagieren, hatte Gavin gefordert, daß sie mit zu der Burg seiner Väter aufbrach. Zwei Tage lang waren sie unterwegs gewesen.
Der Anblick der stolzen Burg hatte Judith sehr beeindruckt Das vier Stockwerke hohe Wohnhaus der vier Brüder wirkte mit den bleiverglasten Fenstern sehr stattlich. Hinter einer Mauer hatte Judith sogar blühende Obstbäume gesehen.
Sie wollte Gavin sagen, wie gut ihr sein Heim gefiel, aber er hatte ihr keine Gelegenheit dazu gegeben. Er hatte kurz einige Befehle erteilt und sie dann mitsamt ihrem Gepäck im Burghof stehenlassen. Judith mußte sich den Bewohnern selbst vorstellen.
Während der einen Woche, die sie nun schon in der Burg war, hatte sich Judith mit ihrer neuen Umgebung vertraut gemacht. Sie hatte festgestellt, daß es viele Möglichkeiten gab, sich hier nützlich zu machen.
Die Dienerschaft war zwar Anordnungen von Frauen nicht gewöhnt, aber Judith widmete sich ihren Aufgaben mit großer Freude. Das lenkte sie davon ab, an Gavins Affäre mit Lilian Valence zu denken. Am Tage gelang ihr das, aber in den Nächten war die Einsamkeit bedrückend.
Geräusche im Burghof ließen Judith aufhorchen. Es war noch zu früh, daß es die Knechte oder Mägde sein konnten. Und es war nur einem Montgomery erlaubt, durch den kleinen Torbogen ins Innere der Burg zu gelangen.
Das erste graue Licht des Tages war noch zu schwach, um erkennen zu können, wer da unten vom Pferd stieg. Judith raffte ihren Mantel und eilte in die große Halle hinunter.
»Vorsichtig, Mann! « schimpfte Raine. »Glaubst du, ich bin aus Eisen, daß du mich so behandeln kannst? «
Judith blieb am Fuße der Treppe stehen, als ihr Schwager hereingetragen wurde. Eines seiner Beine war bandagiert.
»Raine, was ist passiert? « rief sie erschreckt.
»Das vermaledeite Pferd! « stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Es strauchelte auf ebener Strecke, am hellichten Tag! «
Judith eilte zu ihm, als die Männer ihn vor dem Kamin in einen der hohen Stühle gesetzt hatten. »Du bist vom Pferd gefallen? « Schalk blitzte in ihren Augen.
Raines Stirn glättete sich, und in seinen Wangen erschienen die Grübchen. »Na ja, ich bin auch nicht ganz unschuldig daran. Ich träumte vor mich hin, als der Gaul mit einem Huf in ein Hasenloch geriet. Dabei fiel ich herunter und genau auf das Bein. «
Judith kniete sich neben dem Schemel nieder, auf den man das verletzte Bein gelegt hatte, und begann vorsichtig, den Verband zu lösen.
»Was machst du da? « fragte Raine. »Der Feldscher hat sich schon darum gekümmert. «
»Ich will mich nicht darauf verlassen, daß er alles richtig gemacht hat. Wenn es nicht gut gerichtet ist, könntest du später lahm sein oder hinken. «
Er sah einen Moment auf ihr schimmerndes Haar und winkte dann seinen Knappen.
Weitere Kostenlose Bücher