Judith
»Die Stuten hier reichen mir aus«, meinte sie ruhig.
Gavin schwieg einen Moment und sah sie an. »Haßt du mich so sehr oder hast du Angst vor mir? «
»Ich habe keine Angst! « fuhr Judith auf und reckte sich.
»Kommst du dann mit mir? «
Sie hielt seinen Blick fest und nickte langsam. Gavin lächelte. So hatte er vor langer Zeit gelächelt, an ihrem Hochzeitstag.
»Wir reiten morgen zu dem Bauern«, erklärte er, ehe er den Stall verließ.
Judith sah ihm nachdenklich nach. Was wollte er von ihr? Warum machte er ihr ein Geschenk? Es blieb nicht viel Zeit, darüber nachzudenken, denn es wartete noch viel Arbeit auf sie.
10. Kapitel
Die große Halle war vom Feuerschein des mächtigen Kamins erhellt. Einige der von den Montgomerys bevorzugten Gefolgsleute saßen zusammen und spielten Karten oder Schach. Andere hatten sich vor dem Kamin ausgestreckt.
Judith und Raine hielten sich am anderen Ende des Raumes auf.
»Spiel du das Lied«, bat Judith. »Ich bin nicht musikalisch, das weißt du doch. «
Raine schlug ein paar Akkorde auf seiner bauchigen Laute, während er Judith bewundernd ansah. Der Feuerschein vergoldete ihr Haar. Er betete sie nicht nur wegen ihrer Schönheit an. Judith war so anders als die Frauen, die er kannte. Sie war ehrlich, klug und freundlich. Und er wußte, daß er auf dem besten Weg war, sich in sie zu verlieben. Er mußte fort, sobald sein Bein geheilt war.
Raine sah über Judiths Kopf hinweg zu Gavin hin, der in der Tür lehnte, den Blick unverwandt auf seine Frau gerichtet.
»Gavin, spiel du ihr was vor! « rief Raine ihm zu. »Mir tut das Bein so weh. Ich kann nicht spielen. «
Gavin setzte sich in Bewegung. »Sie kann also nicht selbst spielen? « meinte er. »Nun, es freut mich, daß es noch etwas gibt, was sie nicht kann. « Er lachte. »Weißt du, daß sie heute die Fischteiche hat säubern lassen? Vielleicht hat sie einen Schatz auf dem Grund vermutet. «
Er hielt inne, als Judith sich erhob.
»Entschuldigt mich bitte«, sagte sie ruhig. »Ich bin sehr müde und möchte mich zu Bett legen. « Sie nickte den beiden Brüdern zu und verließ die Halle.
Das Lächeln in Gavins Gesicht erlosch, und er ließ sich in einen Stuhl fallen. Raine beobachtete ihn mitleidig.
»Ich werde morgen zu meinen Besitztümern aufbrechen«, sagte er nach einer Weile. Gavin schien ihn jedoch nicht zu hören. Deshalb winkte Raine einem der Knappen und ließ sich in seine Kammer bringen.
]udith sah sich in ihrem Schlafgemach um. Nun gehörte es ihr nicht mehr allein. Gavin war wieder zu Hause und hatte das Recht, den Raum mit ihr zu teilen — und das Bett. Aber er tat es nicht.
Sie kleidete sich hastig aus und schlüpfte unter die Decken. Da sie noch für eine Weile das Alleinsein genießen wollte, hatte sie ihre Mägde fortgeschickt.
Sie war müde von dem arbeitsreichen Tag. Trotzdem lag sie mit offenen Augen da und sah gegen den Betthimmel. Nach einer langen Weile hörte sie Schritte vor der Tür. Sie hielt unwillkürlich den Atem an.
Aber die Schritte entfernten sich wieder. Darüber war sie froh. Doch diese Erleichterung wärmte ihr Bett nicht.
Warum sollte Gavin zu mir kommen? fragte sie sich und spürte dabei Tränen in den Augen. Er hat sicherlich die letzte Woche mit Lilian verbracht. Nun war seine Leidenschaft verrauscht, und er brauchte sein Eheweib nicht mehr.
Die Müdigkeit erlöste sie schließlich von ihren quälenden Gedanken.
Es war noch sehr früh, als Judith wieder erwachte. Mattes Morgenlicht sickerte durch die Vorhänge. In der Burg herrschte noch tiefe Stille. Eine Stille, die Judith genoß. Sie liebte diese ersten Stunden des neuen Tages.
Sie zog sich an, wählte ein schlichtes Kleid aus blauem Wollstoff. Ihre weichen Lederschuhe machten kein Geräusch, als sie zwischen den schlafenden Männern durch die Halle ging.
Neben dem Haupthaus gab es einen kleinen Garten, der von einer niedrigen Mauer umgeben war. Hier standen Rosenbüsche. Bis jetzt hatte Judith andere, wichtigere Aufgaben gehabt, als daß sie sich um die verwilderten Büsche hätte kümmern können.
Schwerer Duft lag über dem Garten. Judith atmete ihn in tiefen Zügen. Dann machte sie sich daran, vertrocknete Zweige und Blätter zu entfernen.
»Dieser Garten gehörte meiner Mutter. «
Erschreckt fuhr Judith herum, denn sie hatte niemanden kommen hören.
»Sie brachte sich von überall her Stecklinge mit«, berichtete Gavin weiter. Er kniete neben Judith nieder und roch an einer Rose.
In der wie
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