Judith
bezauberten Stimmung vergaß Judith ihre Abneigung gegen ihn. »Warst du noch klein, als deine Mutter starb? « fragte sie, während sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte.
»Ja, sehr klein. Miles kennt sie so gut wie gar nicht. «
»Hat dein Vater nicht wieder geheiratet? «
»Er hat das ganze Leben um sie getrauert, vielmehr die kurze Zeit bis zu seinem Tod. Er starb nur drei Jahre nach ihr. Ich war damals sechzehn. «
Noch nie hatte Judith ihn so traurig sprechen hören. »Und man hinterließ dir schwere Pflichten, nicht wahr? «
»Ich war gerade ein Jahr jünger, als du jetzt, da mußte ich mich um die Verwaltung kümmern. Doch du hast hier auch schon erstaunliches vollbracht. « Etwas wie Bewunderung klang in diesen Worten mit.
»Ich wurde mit solchen Aufgaben vertraut gemacht«, sagte Judith. »Für dich war es mit Sicherheit schwerer, weil man dich nur zum Ritter erzogen hat. «
»Man hat mir erzählt, daß man dich fürs Kloster vorbereiten wollte… «
Judith ging zu einem anderen Busch weiter. »Das stimmt. Meine Mutter wollte nicht, daß ich so leben sollte wie sie. Sie war als junges Mädchen in einem Kloster. Dort war sie sehr glücklich, bis sie durch ihre Heirat… « Judith brach hastig ab.
»Ich verstehe nicht, wieso du dann solche Pflichten wie diese hier erfüllen kannst. Ich meine… also, ich dachte immer, daß man im Kloster seine Tage mit Beten verbringt. «
Judith lächelte ihn an. Es wurde jetzt allmählich heller. Im Osten färbte sich der Himmel rosig. Aus der Ferne hörte man Geräusche von der Küche her.
»Die meisten Männer scheinen zu glauben, daß es das Schlimmste für eine Frau ist, wenn sie keinen Mann bekommt. Aber das Leben einer Nonne ist nicht langweilig. Denk nur an das Kloster der heiligen Anna. Was meinst du, wer sich um die Ländereien kümmert? «
»Darüber habe ich noch nie nachgedacht. «
»Die Äbtissin erledigt alle Verwaltungsarbeiten. Gegen sie ist mancher König arm. Euer Land und das meines Vaters zusammen würden nur ein winziges Fleckchen zu den Ländereien dieses Klosters ausmachen. Meine Mutter war mit mir letztes Jahr bei der Äbtissin des Klosters der heiligen Anna. Sie hat keine Zeit für Sticken und Nähen… « Die letzten Worte sprach Judith mit einem Lächeln.
Gavin mußte lachen, weil er sofort wußte, was sie damit andeuten wollte. »Gut pariert«, meinte er und dachte daran, was Raine ihm über Judiths Humor erzählt hatte. »Nun bin ich belehrt. «
»Du müßtest eigentlich mehr über ein Kloster wissen, da deine Schwester Nonne ist. «
Gavins Augen leuchteten auf, als sie seine Schwester erwähnte. »Also, ich kann mir nicht vorstellen, wie Mary Land verwaltet. Schon als Kind war sie so scheu und lieblich, daß man meinte, sie käme aus einer anderen Welt. «
»Und so habt ihr sie in ein Kloster gehen lassen. «
»Es war ihr Wunsch. Als ich Vaters Nachfolge antrat, verließ sie uns. Ich wollte, daß sie blieb. Ich wollte sie auch nicht zu einer Heirat zwingen, aber sie ging zu den frommen Schwestern. «
Gavin starrte Judith an und mochte sich nicht vorstellen, wie eine solche Schönheit hinter Klostermauern lebte. Die Morgensonne vergoldete ihr weiches Haar. Und wie sie so ohne Haß seinen Blick erwiderte, begann sein Herz rascher zu klopfen.
»Au! « Judith brach den Bann, als sie sich einen Dorn in den Finger riß.
»Laß mich sehen! « Gavin faßte vorsichtig nach ihrer Hand. Auf ihrem Finger war ein Tropfen Blut. Er hob ihn an seine Lippen und hauchte einen Kuß darauf. Dabei sah er Judith unverwandt an.
»Guten Morgen! «
Sie fuhren beide zusammen und sahen nach oben. Raine stand an einem der Fenster.
»Ich störe das Techtelmechtel ja nicht gern«, meinte er. »Aber meine Leute scheinen mich völlig vergessen zu haben. Und ich bin mit meinem vermaledeiten Bein wie ein Gefangener. «
Mit glühendem Gesicht entzog Judith Gavin die Hand.
»Ich gehe zu ihm«, sagte Gavin. »Er will heute fort. Vielleicht kann ich ihm ein bißchen Beine machen. Reitest du nachher mit mir zu den Bauern, um dein Pferd auszusuchen? «
Judith nickte. Doch sie sah ihn dabei nicht an.
»Du machst Fortschritte bei deinem geliebten Weib«, meinte Raine, als Gavin ihm ziemlich grob die Stufen hinunter half.
»Ich wäre schon weiter, wenn nicht jemand aus dem Fenster geschrien hätte«, brummte Gavin.
Raine lachte, obwohl sein Bein stark schmerzte und ihm vor dem weiten Ritt, der vor ihm lag, graute. »Aber die Nacht warst du nicht bei ihr,
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