Judith
geriet vor Angst in Panik und rannte los.
In ihrem Entsetzen raffte Judith ihre Röcke und wollte flüch ten. Doch der Eber war schneller als sie. In letzter Sekunde konnte Judith einen Ast ergreifen und sich daran hochziehen. Sie hatte Mühe, sich festzuklammern, während der aufgebrachte Eber wütend gegen den Stamm des Baumes anrannte.
Es gelang ihr schließlich, für die Füße einen festen Halt zu finden und weiter nach oben zu klettern. Es kam ihr nun zugute, daß sie als Kind das Klettern oft geübt hatte.
Obwohl sie einigermaßen sicher war, sah sie ängstlich auf das tobende Tier, das mit seinen wilden Attacken den Baum ins Wanken brachte.
»Wir müssen ausschwärmen! « befahl Gavin seinen Leuten.
John Bassett, der neben ihm stand, zuckte hilflos die Schultern.
»Wir sind nicht genug, um jeweils zu zweit zu gehen«, fuhr Gavin fort. »Aber sie kann nicht weit gekommen sein. « Er war ungehalten darüber, daß Judith einfach davongaloppiert war, auf einem ihr fremden Pferd und in einen Wald, den sie nicht kannte.
Er hatte mit seinen Männern darauf gewartet, daß sie zurückkam, wenn sie den Waldrand erreichte. Und er konnte es zuerst nicht begreifen, daß sie im Wald verschwunden war.
Nun suchten sie schon eine Weile und fanden keine Spur von ihr. Es war so, als hätte sich die Erde aufgetan und Judith verschlungen.
»John, du gehst nach Norden. Odo, du hältst dich in südlicher Richtung. Ich nehme die Mitte. «
Es war still im Wald. Gavin lauschte angespannt, ob er Judith nicht rufen hörte. Er kannte das Dickicht gut, und er vermutete, daß das Pferd zum Wasser gelaufen war.
Immer wieder rief er Judiths Namen, doch er bekam keine Antwort. Plötzlich stellte sein Hengst die Ohren hoch. Die Nüstern des Tieres bebten. Es war auf die Jagd abgerichtet, und Gavin wußte, daß sein Tier Wild witterte.
»Später, nicht jetzt, mein Guter! « sagte er und tätschelte den Hals des Hengstes.
Doch das Pferd weigerte sich, den Zügeln zu gehorchen. Gavin runzelte die Stirn und ließ ihm seinen Lauf. Da hörte er das Schnauben des Ebers. Er hörte es, bevor er das Tier sah. Er hätte sein Pferd daran vorbei geführt, wenn er nicht etwas Blaues in dem Baum entdeckt hätte.
»Verdammt! « stieß er hervor, als er sah, daß Judith dort gefangen war. »Judith! « schrie er, aber es kam keine Antwort. »Ich bin gleich bei dir! «
Sein Pferd senkte den Kopf in Erwartung des Kampfes, während Gavin sein langes Schwert zog. Der Hengst war gut abgerichtet. Er jagte dicht an dem Eber vorbei, und Gavin lehnte sich weit aus dem Sattel, um dem wilden Tier das Schwert in den Rücken zu stoßen. Der Eber quiekte auf und schlug einmal aus, ehe er zusammenbrach.
Sofort war Gavin aus dem Sattel und warf das Schwert fort. Er sah zu Judith hinauf und erkannte Angst und Grauen in ihren Augen.
»Judith, es ist alles gut. Der Eber ist tot. Er kann dir nichts mehr tun. « Doch es schien so, als hätte ihre Angst nichts mit der Gefahr zu tun. Sie war auf dem Baum ja in Sicherheit.
Sie starrte Gavin an. Ihr Blick ging jedoch durch ihn hindurch. Ihr ganzer Körper war verkrampft.
»Judith! « rief er scharf. »Bist du verletzt? «
Noch immer schien sie nichts wahrzunehmen.
»Spring! Es ist nicht gefährlich«, sagte Gavin und streckte die Arme nach ihr aus. »Laß einfach nur den Ast los. Ich fange dich auf. «
Sie rührte sich nicht.
Gavin sah von dem toten Eber wieder zu seiner Frau hinauf. Sie mußte sich vor irgend etwas zu Tode ängstigen.
»Judith! « sagte er sanft und stellte sich so unter den Baum, daß ihr Blick auf ihn fallen mußte. »Hast du Panik vor der Höhe? « Er war sich nicht ganz sicher, aber er meinte, ein schwaches Nicken zu sehen.
Gavin packte den untersten Ast und schwang sich hoch. Gleich darauf war er neben ihr und legte den Arm um ihre Taille. Doch Judith war immer noch wie erstarrt.
»Hör mir zu«, bat er leise. »Ich fasse jetzt deine Hände und lasse dich nach unten, bis du wieder Boden unter den Füßen hast. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich halte dich fest. «
Er mußte ihre Finger mühsam von dem Ast lösen. Sofort klammerte sie sich an seine Hände. Sie zitterte am ganzen Körper. Gavin stemmte sich gegen einen Ast und ließ Judith vorsichtig hinunter.
Sie hatte kaum den Boden berührt, da war er schon neben ihr. Er hielt sie in seinen Armen und wiegte sie wie ein Kind.
»Du bist in Sicherheit«, raunte er ihr zu.
Sie preßte sich verzweifelt an ihn, und dann spürte Gavin,
Weitere Kostenlose Bücher