Judith
angesehen hatte.
Er war groß und schlank und hatte dunkelblondes Haar mit einigen helleren Strähnen. Sein Kinn war kantig und eingekerbt, Aber es waren seine Augen, die sie bannten. Sie waren tiefblau, und noch immer leuchtete etwas wie Haß in ihnen, während er sie unverwandt ansah.
Die plötzliche Stille, die im Saal entstand, und das Klirren von Ketten zogen Judiths Aufmerksamkeit auf sich. Und im ersten Moment erkannte sie nicht, daß das, was die beiden bewaffneten Männer da in den Saal schleiften, ein Mensch war.
Diese Sekunden des Nichterkennens retteten sie. Es wurde ihr bewußt, daß Arthur und Walter sie aufmerksam betrachteten. Fragend erwiderte sie ihre Blicke, und als sie sich dann den Eintretenden wieder zuwandte, sah sie, daß es Gavin war, den sie hereinschleppten.
Sie sah rasch zu Demari hin. Das gab ihr Zeit, sich zu fassen. Warum brachte man Gavin herauf? Glaubten sie, daß sie zu ihm laufen würde?
Jäh wurde ihr bewußt, daß es genau das war, was Arthur Smiton von ihr erwartete. Er wollte Walter beweisen, daß sie Gavin nicht haßte.
»Kennst du diesen Mann? « fragte Walter und lächelte sie an.
Judith sah auf und tat überrascht, weil man einen so zerlumpten Menschen in die Halle brachte. Dann lächelte sie. »So habe ich ihn immer sehen wollen«, sagte sie.
Walter schrie triumphierend auf. »Bringt ihn näher, damit meine schöne Lady sich an seinem Anblick weiden kann! « rief er. »Laßt sie seinen Anblick genießen. Sie hat es verdient. «
Die beiden Bewaffneten schleiften Gavin bis vor den Tisch. Judith meinte, jeder müßte hören, wie ihr Herz raste. Doch sie durfte sich nicht das geringste Mitgefühl mit Gavin anmerken lassen. Dann waren sie alle verloren.
Sie erhob sich, griff nach ihrem Weinglas und schüttete Gavin den Inhalt ins Gesicht.
Der Wein schien ihn aus seiner Apathie zu reißen, denn er hob den Kopf und sah sie an. Überraschung lag in seinem abgemagerten Gesicht. Dann ging sein Blick zu Arthur und Walter hin, die neben Judith standen.
Demari legte besitzergreifend einen Arm um sie. »Sie her! Sieh dir an, wer deine Holde jetzt umarmt! « brüstete er sich.
Ehe jemand begriff, was geschah, warf sich Gavin über den Tisch. Die Männer, die seine Ketten hielten, wurden mitgerissen und fielen in die Teller und Schüsseln.
Walter konnte nicht schnell genug ausweichen. Gavins Hände Packten seine Schultern und zerrten ihn auf den Tisch.
»Haltet ihn! « keuchte Demari. Seine Stimme ging in ein Röcheln über, als Gavin seinen Hals umklammerte.
Starr wie alle anderen im Saal beobachtete Judith, was geschah. Obwohl Gavin selbst halbtot war, hatte er noch Kraft genug, zwei Männer umzuwerfen und seinen Rivalen zu würgen.
Dann rappelten sich die Bewacher auf und rissen ihn zurück. Es gelang ihnen kaum, Walter aus Gavins Händen zu befreien.
»Dafür werde ich dich umbringen! « schwor Gavin, und sein Blick bohrte sich in den seines Feindes. Dann trafen ihn die Fäuste seiner Bewacher, und man legte ihn in Ketten.
»Bringt ihn fort! « schrie Walter Demari mit sich überschlagender Stimme. Er rieb sich seine schmerzende Kehle. Und sein Kinn zitterte noch von dem ausgestandenen Schrecken.
Als Gavin fortgebracht worden war, sank er in seinem Stuhl in sich zusammen.
Judith wußte, daß sie nun mit allem Geschick handeln mußte. »Das war nett«, sagte sie lächelnd, als sie sich dem Mann an ihrer Seite zuwandte. »Natürlich nicht, was er dir angetan hat. Das meine ich natürlich nicht. Es war gut, daß er mich mit einem Mann gesehen hat, der mich beschützen wird, der mich liebt. «
Walter starrte sie fassungslos an.
»Aber ich könnte auch ärgerlich auf dich sein«, fügte Judith hinzu und senkte die Wimpern über die Augen.
»Warum? Was habe ich dir getan? «
»Ich finde, eine so schmutzige und abstoßende Kreatur vor eine Lady zu bringen, ist nicht sehr höflich. Er sah verhungert aus. Wahrscheinlich lehnt er alle Speisen ab. Wahrscheinlich will er dich damit strafen. «
Walter dachte über ihre Worte nach. »Du hast recht. « Er winkte einem der Männer an der Tür. »Sag den Wachen, daß sie ihn waschen und ihm was zu essen geben sollen! «
Er war in bester Stimmung. Arthur hatte behauptet, daß Judith in Tränen ausbrechen würde, wenn sie ihren Mann so sah. Aber sie hatte gelächelt.
Nur Joan wußte, wieviel Kraft dieses Lächeln ihre Herrin gekostet hatte.
Judith verließ mit stolz erhobenem Haupt den Saal. Übelkeit würgte sie. Und sie
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