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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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Vorbehalt formulierte [englisch:
tentative
] Moral der Geschichte ist», schrieb Bellak, «daß Deutsche ihre Kinder häufiger als dänische oder italienische Erwachsene mißhandeln, und daß die Kinder das an anderen Kindern abreagieren.» Diesen Bericht veröffentlichte Leopold Bellak zu einer Zeit, da alle Welt unruhig fragte, was die Wiedervereinigung Deutschlands mit sich bringen würde, unter dem Titel «Warum ich die Deutschen fürchte».
     
    Im Frühjahr 1971, nach dem Revisionsprozeß in Düsseldorf, hatte ich geschrieben: «Die Bevölkerung der Bundesrepublik, der es so leicht gefallen ist, aus Jürgen Bartsch einen Sündenbock für eigene Taten zu machen, prügelt jahraus, jahrein etwa neunzig bis hundert Kinder zu Tode und verletzt mehrere tausend schwer. Wenn die Erkenntnisse aus diesem tragischen Prozeß diese Statistik ändern könnten, würden die vier Opfer von Jürgen Bartsch nicht ganz umsonst gestorben sein.»
    Ich überlasse es den Leserinnen und Lesern, ob die Entwicklungen seit 1972 meinen zögernden, bedingten Optimismus gerechtfertigt haben.
    ***

14  Briefe VI
    Es war diese spezielle Entwicklung, die seine ganze Persönlichkeit wie eine Sucht mit Beschlag belegte, ausfüllte und aufsog, der man aus psychiatrischer und sexualwissenschaftlicher Sicht die Qualität «krankhaft» zuzubilligen hatte. Die Gutachter, die sich hierfür aussprachen, waren sich mit dem Gericht einig, daß ein völliger Verlust der Steuerungsfähigkeit noch nicht eingetreten war. Das bedeutete, daß eine Strafe auszusprechen war. Bartsch wurde zu einer Jugendstrafe verurteilt, weil das Fehlen altersgemäßer Reifung angenommen wurde, erhielt jedoch die Höchststrafe von zehn Jahren. Die Anerkennung von Krankhaftigkeit in Verbindung mit der Rückfallgefahr machte es unvermeidlich, daß Jürgen Bartsch außerdem in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen wurde, zur «Besserung und Sicherung», wie es im Gesetz heißt.
    Wilfried Rasch
     
    [ohne Datum]
     
    … Nach dem ersten Prozeß, kurz nach Weihnachten 1967, habe ich keine meiner Beruhigungstabletten geschluckt, ich habe nur die Hüllen aufbewahrt. Ich habe mir dann die Hand ganz aufgeschnitten bis kurz vor der Pulsader. Die Pulsader lag offen, war aber nicht durchgeschnitten. Sie haben mich zusammengeflickt und den Magen ausgepumpt, und ich bin sofort wieder zurück ins Gefängnis gekommen. Mit der aus Seife gebastelten Pistole – ach Gott, ich habe gedacht, das hältst du ihnen so vor die Nase und transportierst ihn eben raus. Ich habe getan, als wenn ich bewußtlos wäre. Und der Arzt sagte: «Krankenhaus.» Dann habe ich den Mantel angezogen, wo ich die Pistole drin hatte. Sie haben da gar nicht reingeguckt. Der Arzt hat probiert, ob ich bewußtlos war, und ich meine Augen verstellt, aber ich bin überhaupt nicht bewußtlos gewesen.
    Ich lag auf der Bahre. Ein Beamter saß neben mir. Sie haben mich mit einem Riemen festgeschnallt. Ich habe anscheinend ab und zu in die Seitentasche gefühlt, ob die Pistole noch da wäre. Mehr habe ich nicht gemacht, aber der Beamte hat die Bewegung in der Manteltasche bemerkt, und dann, als ich reingetragen wurde, hat er gesagt: «Komm, geben Sie mal schnell den Mantel her. Da ist irgend etwas los.»
    Aber ein anderes Mal habe ich wirklich versucht, Selbstmord zu machen. Ich hatte mich verliebt, richtig verliebt, in einen Jungen, der damals zwölf war, den ich nicht persönlich kannte, aber ein Junge, dem ich auch im Gefängnis nicht aus dem Weg konnte. Das ist auch heute nicht weg. Ich spreche von Heintje. Heute ist er älter, so daß er mir, wenn ich draußen wäre, nicht mehr viel sagen könnte, denn diese Liebe, die geht bei mir bis höchstens zu vierzehn Jahren.
    Das ist aber damals so schlimm gewesen und so unerreichbar, diese Sehnsucht war dermaßen groß, daß ich gedacht habe, ja, nun machst du Schluß, so geht das einfach nicht weiter.
    Es war so eine Art Heldenverehrung. Das drängt das Sexuelle natürlich zurück, sogar bei mir. Ich sage das heute noch, daß dieser Junge ein Kind ist und daß er das nicht zu verantworten hat, was mit ihm gemacht wird. Er macht das ja nicht, sondern man macht es mit ihm, verstehen Sie?
    Ich habe nie an ihn geschrieben. Ich persönlich bin der Ansicht, daß der Junge genug eigene Belastungen hat. Ich bin überhaupt gespannt, wie ein Mensch, der als Kind derlei Rummel mitgemacht hat, im späteren Leben überhaupt fertig wird. Das wäre doch sehr interessant für mich.
    Die Sache

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