Julia Ärzte zum Verlieben Band 49
Mikki schaute das junge Mädchen an. „Ist da noch mehr?“
„Es ist eine komplizierte und sehr traurige Geschichte.“ Abby seufzte. „Als Lewis sechzehn war, starb sein Bruder Liam – mit vierzehn. Mein Vater … unser Vater kam mit Liams Tod schwer zurecht, und nur wenige Wochen danach hat er meine Mutter geheiratet. Die Ehe stand von Anfang an unter keinem guten Stern. Sie haben sich scheiden lassen, als ich zehn war.“
Mikki starrte Lewis mit offenem Mund an. „Du … du hattest einen Bruder?“
„Ja.“ Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Züge wirkten wie aus Stein.
„Ein Jahr vor meiner Geburt ging Lewis von zu Hause fort. Als ich alt genug war, hat meine Mutter mir von ihm erzählt. Mein Vater wollte allerdings nicht, dass ich Kontakt zu ihm aufnahm. Irgendwann beschloss ich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ich schrieb Lewis eine E-Mail. Und vor einem Jahr habe ich meinen Schulabschluss gemacht und bin sofort nach London geflogen, um ihn zu besuchen.“
Verletzt sah Mikki ihn an. „Warum hast du mir nichts davon verraten?“
„Diesen Teil meines Lebens hatte ich zurückgelassen, als ich nach London gegangen bin“, antwortete er. „Ich wollte das alles vergessen und nach vorn blicken.“
„Ich wünschte mir, ich hätte davon gewusst …“ Es hätte so vieles erklärt: seine Zurückhaltung und seine Distanziertheit, als sie das Baby verloren hatte. Er hatte sich emotional abgeschottet und nichts an sich herangelassen. Das war seine Art gewesen, mit dem Verlust fertigzuwerden – so wie damals nach dem Tod seines Bruders. Er hatte alle Brücken hinter sich abgebrochen und sich in einem fremden Land ein neues Leben aufgebaut.
„Lewis?“, wandte Abby sich an ihren Bruder und sah sich dabei um. „Macht es dir etwas aus, wenn ich früher gehe? Ein Freund holt mich ab. Wir haben uns lange nicht gesehen und wollen noch ein bisschen durch die Klubs ziehen.“
„Nein, natürlich nicht. Ich bringe Mikki sowieso bald nach Hause.“
„Wie bitte? Solltest du mich nicht erst fragen, ob ich das überhaupt möchte?“, konterte Mikki aufgebracht.
„Hör auf“, gab er knapp zurück. „Ich will keine Szene.“
„Soll das heißen, ich mache eine Szene?“, rief sie.
„Also … es tut mir wirklich leid“, unterbrach Abby sie sichtlich besorgt. „Ich hätte nicht von Liam erzählen sollen. Dadurch habe ich alles noch schlimmer gemacht, oder?“
„Nein, nein“, beruhigte Lewis sie. „Ich hätte es Mikki sowieso irgendwann erklärt.“
„Wann denn, bitte schön? Vielleicht in sieben Jahren?“
„Ich möchte das nicht hier im Flur ausdiskutieren“, bemerkte Lewis unwirsch.
„So, ich muss jetzt wirklich los.“ Abby lächelte Mikki an. „Vielleicht können wir beide uns mal treffen. Ich würde gern die Verlobte meines Bruders besser kennenlernen.“
„Exverlobte“, verbesserte Mikki sie sofort.
„Entschuldigung …“ Abbys Lächeln verblasste. „Ich vergesse ständig …“
„Also, bis dann, Kleines“, sagte Lewis, beugte sich vor und gab seiner Schwester einen Kuss auf die Wange.
„Danke noch mal für die Einladung, großer Bruder.“
„Pass auf dich auf.“
„Mach ich.“ Sie winkte kurz und lief zu dem gut aussehenden jungen Mann, der geduldig an der Treppe auf sie wartete.
Mikki drehte sich zu Lewis um. „Ich komme auch allein nach Hause. Du musst meinetwegen keinen Umweg machen.“
Er berührte ihren Arm, ließ die Hand auf ihrer nackten Haut tiefer gleiten und umfasste ihr Handgelenk. „Es macht mir nichts aus. Außerdem möchte ich dir in aller Ruhe klarmachen, warum ich das mit Liam für mich behalten habe.“
Mit diesen Worten wollte er sie zurück in den Ballsaal führen, um ihr Tuch zu holen. Mikki ließ es zu. Sie wollte nicht noch mehr Aufsehen erregen. Den neugierigen Blicken nach zu urteilen, brodelte die Gerüchteküche jedoch bereits. Bis Montag würde vermutlich jeder im Krankenhaus Bescheid wissen.
Lewis’ Wagen wurde von einem Hotelpagen herangefahren. Lewis öffnete Mikki die Beifahrertür, ging um das Auto herum und setzte sich ans Steuer.
„Alle werden sich das Maul darüber zerreißen, wenn wir jetzt zusammen wegfahren. Das ist dir klar, oder?“, fragte Mikki in die angespannte Stille hinein.
„Sollen sie doch reden.“
Sie drehte sich zu ihm um. „Dir ist wohl alles egal, wie?“
„Alles nicht, aber das schon.“
Mikki lehnte sich zurück und betrachtete die vorbeirasenden Häuserzeilen, ohne wirklich etwas zu sehen.
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