JULIA ARZTROMAN Band 26
deine Frau genommen. Im Gegenteil, ich habe alles getan, um sie zu retten.“
„Das ist eine freche Lüge!“ Nick wurde wütend. „Ich war dabei. Du hast zu früh aufgegeben.“
„Sie war tot, Nick. Ihr Herz hatte eine halbe Stunde vorher aufgehört zu schlagen. Wenn ich etwas daran hätte ändern können, glaubst du nicht, dass ich es getan hätte? Für dich, für Lucy?“
„Du hättest sie in den OP bringen müssen.“
„Dazu war keine Zeit mehr. Also haben wir gekämpft – und leider verloren. Es war nicht mein Fehler. Falls du jemanden verantwortlich machen willst, fass dir an die eigene Nase.“
„Was zum Teufel willst du damit sagen?“
„Wenn überhaupt jemand an ihrem Tod schuld ist, dann du. Du warst doch viel zu beschäftigt, dein Imperium aufzubauen. Du hast gar nicht gemerkt, dass die Frau, die du angeblich liebtest, so krank war, dass sie sich mit Schmerzmitteln vollgepumpt hat, nur um dir nicht zur Last zu fallen. Deshalb ist sie gestorben!“
Lucy keuchte auf, und am Empfang verharrten Hazel und Kate wie erstarrt.
Mit einem Knall flog die Tür gegen die Wand, und Ben stürmte heraus, dunkel im Gesicht vor Zorn. Ohne einen Blick für seine Umgebung marschierte er mit langen Schritten aus der Praxis.
Kate eilte zu Lucy. „Oh, Liebes, es tut mir so leid. Komm, du musst dich hinsetzen.“
„Nein, ich will erst mit ihm reden.“ Auf wackligen Beinen betrat sie das Zimmer ihres Vaters. Er stand am Regal, zog ein Buch hervor, blätterte darin und warf es wütend auf den Schreibtisch, ehe er zum nächsten griff.
„Dad?“
„Ich werde ihn verklagen. Auch wenn er dein Mann ist, das kann ich ihm nicht durchgehen lassen!“
„Und wenn er recht hat?“
Er zuckte zusammen und sah auf. Eiseskälte lag in seinem Blick. „Geh“, sagte er tonlos. „Wenn das dein Ernst ist, dann geh. Ich will dich nie wiedersehen.“
„Nick, das ist doch lächerlich“, mischte Kate sich ein.
„Schön, ich gehe.“ Lucy schluchzte auf, drehte sich um und lief zu ihrem Zimmer, um Mantel und Handtasche zu holen. Dabei stellte sie fest, dass sie die Laborprobe noch in der Hand hielt. Sie drückte sie Hazel in die Hand. „Kannst du das bitte einschicken? Danke. Und … fröhliche Weihnachten.“ Tränenblind eilte sie nach draußen zu ihrem Wagen, schob sich hinters Steuer und fuhr los.
Regennass glänzte die Straße vor ihr. Auf halbem Weg nach Tregorran House verwandelte sich der Regen in Schneeregen, und bald darauf fiel er in wirbelnden weißen Flocken vom Himmel. Ungewöhnlich für Cornwall. Der Spuk würde sicher schnell wieder vorbei sein, aber im Moment konnte Lucy kaum etwas erkennen. Was vielleicht auch daran lag, dass ihr immer noch Tränen übers Gesicht liefen.
Plötzlich geriet der Wagen ins Rutschen und brach zur Seite aus. Lucy war sofort vom Gas gegangen und versuchte gegenzulenken. Vergebens. Sie schlitterte in den Straßengraben.
Oh, Himmel, nein! Das Telefon. Wo war ihr Telefon? Sie musste Ben anrufen. In der Tasche. Und wo war die verflixte Tasche?
Im Fußraum, auf der Beifahrerseite. Fast unerreichbar. Jedenfalls für jemanden, der hochschwanger war. Lucy hing in ihrem Sicherheitsgurt, beugte sich hinüber, noch ein Stückchen und … geschafft!
Keuchend richtete sie sich wieder auf. Die Tasche war nass. Lucy beobachtete, wie das Wasser weiter stieg.
Sie musste hier raus.
Der Motor lief noch, sie stellte ihn aus. Jetzt war ein bedrohliches Knarren zu hören, ein Zischen und Gluckern, mit dem ihr Auto tiefer im Graben versank … wie im Horrorfilm. Wo war sie eigentlich? Weit von zu Hause konnte sie nicht mehr sein. Vielleicht siebenhundert, achthundert Meter?
Lucy drückte die Tür auf, schaffte es aber nur bis zu einem bestimmten Punkt, dann siegte die Schwerkraft, und die Tür kippte wieder zu. Ben, dachte sie und tippte auf die Kurzwahltaste.
Eine Automatenstimme teilte ihr mit, dass der Teilnehmer zurzeit nicht erreichbar sei.
Na wunderbar!
Was jetzt? Die Notrufnummer wählen?
Oder ihren Vater anrufen?
Nein. Schließlich war sie nicht verletzt. Sie steckte nur fest. Lucy schickte Ben eine SMS und beschrieb, wo sie war. Danach löste sie ihren Sicherheitsgurt, hievte sich umständlich auf den Sitz, bis sie darauf kniete, die Füße auf der Handbremse abgestützt, den Kopf an die Scheibe gelehnt. Dann drückte sie mit aller Kraft gegen die Tür, bis sie weit offen war.
Fragte sich nur, ob sie dort auch bleiben würde. Zur Sicherheit klemmte sie ihre Tasche zwischen
Weitere Kostenlose Bücher