Julia Bestseller Band 144
lange mit sich herumtragen?“, fragte er freundlich. Wahrscheinlich würde er zu gern die neue Seite erforschen, die er an ihr entdeckt hatte.
Ich muss unbedingt das Thema wechseln, am besten konzentrieren wir uns auf ihn statt auf mich, überlegte sie.
„Ja. Da ich Ihre Schwester kennengelernt habe, würde ich gern mehr über Ihre Familie erfahren.“ Sie war tatsächlich neugierig, nachdem sie mit Ruth gesprochen hatte.
„Okay. Was möchten Sie denn wissen?“
„Haben Sie noch mehr Geschwister?“
„Ich habe zwei ältere Brüder, die verheiratet sind. Ruth ist die jüngste. Meine Mutter bemüht sich, uns fest im Griff zu haben, und mein Vater lässt uns in Ruhe.“
„Wohnen alle in Sydney?“
„Ja.“
„Und Sie sind am unberechenbarsten, oder wie soll ich es ausdrücken?“
Er lachte. „Schon als Kind hat man mich als Abenteurer bezeichnet.“
Und das ist er immer noch, dachte sie. „Erzählen Sie mehr von sich“, bat sie ihn, um sich ein besseres Bild von ihm machen zu können.
Bereitwillig tat er es und erfreute sie mit lustigen Geschichten über seine Kindheit. Amy fühlte sich wie befreit und war froh, von seiner beunruhigend sinnlichen Ausstrahlung abgelenkt zu sein.
Sie konnte sich gut vorstellen, wie Jake als kleines Kind zum Leidwesen seiner Mutter alles hatte ausprobieren müssen, was er um sich her entdeckte. Später, als sie alt genug dazu war, hatte Ruth sich ihm angeschlossen.
Nach der Vorspeise servierte man ihnen das Hauptgericht. Und danach wollten sie unbedingt noch das verlockend klingende Apfel-Brandy-Soufflé mit Kiwis und Zitrone probieren.
Jake erzählte immer mehr Geschichten aus seiner offenbar glücklichen Kindheit. Da sie selbst nicht in einer intakten Familie aufgewachsen war, hörte sie ihm fasziniert zu. Auch Steve, der ein Einzelkind gewesen war, hatte keine besonders glückliche Kindheit gehabt. Jahrelang hatte er sich in die künstliche Welt der Computerspiele zurückgezogen. Das tat er als Erwachsener auch noch, wenn er Auseinandersetzungen befürchtete, die er lieber vermied.
Sie überlegte, wie gut diese Blondine ihn überhaupt kannte. Probleme schwieg er tot, er packte sie nicht an, sie schienen für ihn nicht zu existieren. Wahrscheinlich hatte er Amy nur deshalb mit der Schwangerschaft seiner Geliebten und der bevorstehenden Heirat vor vollendete Tatsachen gestellt, weil es unter den Umständen sowieso sinnlos war, sich noch einmal zusammenzusetzen und über alles zu reden.
Harmonie um jeden Preis – nach diesem Motto lebte Steve. Amy hatte sich jahrelang seiner Meinung angeschlossen. Aber jetzt wurde ihr klar, wie wenig hilfreich es war, Probleme einfach zu ignorieren.
„Sie sind ganz woanders.“ Jakes trockene Bemerkung brachte Amy in die Wirklichkeit zurück.
„Nein, ich habe nur gedacht, wie schön es für ein Kind sein muss, ohne Ängste, Einschränken und Hemmungen aufwachsen zu können. Sie haben Glück gehabt mit Ihrer Familie, Jake“, antwortete sie lächelnd.
Den nachdenklichen, forschenden Blick, mit dem er sie betrachtete, kannte sie gut. Sonst wurde sie dabei immer ganz nervös, aber dieses Mal fand sie es aufregend und verspürte sogar ein Kribbeln im Bauch. Vielleicht lag es am Champagner, dem guten Essen und dem neuen Apartment, dass sie dieses Mal ganz anders reagierte.
„Jeder Mensch hat Ängste, Amy“, erwiderte er schließlich. „Man lässt sich Einschränkungen auferlegen und Hemmungen anerziehen, ob man will oder nicht.“
„Was für welche zum Beispiel?“, fragte sie herausfordernd.
„Nehmen wir uns beide. Am liebsten würde ich Sie in mein Bett mitnehmen und den ganzen Nachmittag leidenschaftlich lieben.“
Einen aufregenden Moment lang geriet Amy in Versuchung, ihn zu ermutigen, sie zu verführen.
Doch dann lächelte Jake und fügte hinzu: „Aber wenn ich meinem sündhaften Verlangen nachgeben würde, müsste ich befürchten, dass Sie entsetzt davonstürzen und ich Sie aus meinem Leben vertreibe. Ich will Sie unter keinen Umständen verlieren. Deshalb fühle ich mich total eingeschränkt und sehr gehemmt.“
Glücklicherweise wurde in dem Augenblick das Soufflé serviert.
„Betrachten Sie das köstliche Dessert als kleinen Trost“, sagte Amy und bemühte sich, sich nicht anmerken zu lassen, wie schockiert und erleichtert zugleich sie war.
Jake lachte und nahm den Löffel in die Hand. „Guten Appetit!“
Sie war froh, dass der gefährliche Moment vorbei war. Der Wunsch, mit Jake ins Bett zu gehen,
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