JULIA COLLECTION Band 11
„Andererseits sehen Sie aus wie das blühende Leben. Wundervoll … gesund zu sein, meine ich.“
Sie senkte den Blick und errötete ein wenig, und er gratulierte sich im Stillen, dass er genau den richtigen Tenor gefunden hatte. Unbeeindruckt von dem vielfältigen Angebot wählte er den Wein aus.
Zu Beginn kreiste das Tischgespräch um die Fahrt in die Stadt. Er brachte sein Bedauern darüber zum Ausdruck, dass es ihm nicht möglich gewesen war, sie ins Hotel mitzunehmen, erklärte aber nicht den Grund dafür. Als er jedoch nebenhin erwähnte, dass er an diesem Nachmittag mehr erledigt hatte als erwartet und folglich den folgenden Tag frei hatte, schloss sie daraus, dass er geschäftlich zu tun gehabt hatte.
„Haben Sie Ihren Feldzug schon geplant?“, erkundigte er sich schließlich.
„Feldzug?“
„Ich nehme an, dass Sie die Stadt im Sturm erobern wollen“, neckte er. „Da es aber so viel zu sehen und zu tun gibt, braucht man einen Plan. Aber Ihre Begleitung wird eine Route für Sie festgelegt haben, nehme ich an.“
„Meine Begleitung?“
„Ja. Handelt es sich um einen Einheimischen? Oder ist die Person, die Sie treffen werden, weiblich?“
Avis blinzelte verwirrt. Dann murmelte sie verlegen: „Ach so, das meinen Sie. Das war nur … ich habe damit nur gemeint, dass ich vorhabe, einen Fremdenführer anzuheuern.“
Er täuschte Überraschung vor. „Nun, dann müssen Sie mich Ihren Fremdenführer spielen lassen.“
Ihre Brüste hoben sich so reizvoll, als sie tief Luft holte, dass es ihm den Atem verschlug. „Ich … ich möchte Ihnen nicht zur Last fallen.“
„Unsinn. Sie würden mir sogar einen Gefallen tun. Trotz des heutigen Fortschritts werden meine Geschäfte nicht so schnell zum Abschluss kommen wie erwartet. Ich fürchte, mir steht viel Wartezeit bevor, und wenn man die Sehenswürdigkeiten schon kennt wie ich, erfreut man sich nur noch an ihnen, indem man sie jemandem zeigt, dem sie neu sind.“
Eine wahre Parade an Gefühlen huschte über ihr Gesicht.
Inbrünstig fügte er hinzu: „Bitte! Ich garantiere Ihnen sämtliche Highlights und dazu einige Geheimnisse, die Ihnen ohne mich entgehen würden.“ Wie wahr, wie wahr!
Zögernd gab sie nach. „Ich will aber nicht Ihre ganze Zeit in Beschlag nehmen.“
„Wir lassen es auf uns zukommen. Aber morgen stehe ich auf jeden Fall zur Verfügung.“
Sie seufzte und lachte ein wenig. „Also gut, wenn Sie sicher sind.“
„Ganz sicher. Und falls Sie heute Abend noch nichts vorhaben, möchten Sie vielleicht mit mir ins Theater gehen? Das Stück läuft schon eine ganze Weile, sodass es bestimmt noch Karten gibt.“ In Wirklichkeit hatte er eine Loge für die ganze Saison reserviert, aber das musste er ihr ja nicht unbedingt anvertrauen.
Entschieden schüttelte Avis den Kopf. „Ich muss mich heute Abend unbedingt ausruhen, damit ich morgen den Tag nutzen kann.“
„Demnach haben Sie heute Nachmittag nicht geschlafen. Sehr gut. Es ist immer am Besten, durchzuhalten und sich sofort an den lokalen Rhythmus anzupassen.“
Sie nicke. „Ich habe gehört, dass man den Jetlag so am Besten verkraftet.“
Bis das Essen serviert wurde, plauderten sie über dieses und jenes. Dann besprachen sie den Ablauf des kommenden Tages und entschieden sich für eine Besichtigung des kolossalen Riesenrades, London Eye genannt, der Reproduktion von Shakespeares Globe Theatre, der London Bridge und natürlich des Tower.
„Ich kenne da ein wundervolles kleines Lokal mit Blick auf die Themse, in dem wir zu Mittag essen könnten, wenn Sie möchten“, schlug er hoffnungsvoll vor.
„Das klingt verlockend.“
Er grinste. „Welch ein Glück, dass wir uns begegnet sind. Ich hätte mich hier sonst zu Tode gelangweilt.“
Wieder einmal schenkte sie ihm ein zurückhaltendes Lächeln, das ein wenig schüchtern, ein wenig argwöhnisch wirkte. Fieberhaft überlegte er, wie er ihr Misstrauen eliminieren konnte, doch bevor er sich in das Problem vertiefen konnte, dröhnte ihm eine kräftige Stimme ins Ohr.
„Hallo! Wie geht es dir, alter Kumpel? In diesen niederen Gefilden hätte ich dich nicht erwartet. Aber trotzdem schön, dich zu sehen. Und wer ist diese Schönheit?“
Wie gewöhnlich holte Sir Ponder Colbert kaum Luft zwischen den Aussagen und Fragen und wartete schon gar nicht auf Antworten.
Er war ein derber, gutmütiger Kerl mit Stirnglatze und rundlicher Taille. Früher einmal hatten die beiden „die Stadt unsicher gemacht“, um seine
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