Julia Collection Band 21
Erinnerungsvermögen?“
„Mr. Sabatino erhielt einen Schlag auf den Kopf und war mehrere Stunden lang bewusstlos. Nach einem solchen Ereignis ist eine Phase der Orientierungslosigkeit nicht selten. Leider scheint in diesem Fall eine vorübergehende Beeinträchtigung des Erinnerungsvermögens vorzuliegen.“
„Und das bedeutet?“
„Eine Standarduntersuchung, nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt hatte, ergab eine Störung seiner zeitlichen Wahrnehmung …“
„Zeitliche Wahrnehmung?“, unterbrach Hillary ihn ängstlich.
„Roels Erinnerung hat meiner Einschätzung nach die letzten fünf Jahre seines Lebens falsch eingeordnet. Ihm selbst war das Problem nicht bewusst, bis er darauf aufmerksam gemacht wurde. Jeder Aspekt seiner Vergangenheit vor dieser Zeit ist ihm bekannt, aber alles, was danach kam, ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln.“
Hillary sah den Arzt ungläubig an. „Fünf ganze Jahre? Sind Sie sicher?“
„Selbstverständlich. Mr. Sabatino hat auch keine Erinnerung an den Autounfall.“
„Aber wieso ist ihm das passiert?“, wollte sie besorgt wissen.
„Ein Gedächtnisverlust bis zu einem gewissen Grad als Folge einer Kopfverletzung ist nicht selten, allerdings meistens nur über einen kurzen Zeitraum. Man nennt es retrograde oder rückläufige Amnesie. Manchmal führt ein emotionales Trauma oder auch Stress zu diesem Phänomen, aber in diesem besonderen Fall können wir das wohl ausschließen“, erläuterte Dr. Lerther überzeugt. „Mit ziemlicher Sicherheit ist es ein vorübergehender Zustand, und innerhalb von Stunden oder Tagen kehrt das Vergessene zurück, bruchstückhaft oder auch auf einmal.“
„Wie nimmt Roel es auf?“, fragte Hillary schwach.
„Sobald Ihr Mann begriffen hatte, welch großer Zeitraum aus seinem Gedächtnis gelöscht war, war er sehr geschockt.“
„Darauf wette ich …“ Sie versuchte sich vorzustellen, wie Roel, für den es selbstverständlich war, alles und jeden ständig zu hundert Prozent unter Kontrolle zu haben, mit dieser Situation fertig werden würde.
„Vor dieser Diagnose war Mr. Sabatino entschlossen, entgegen jedem ärztlichen Rat in sein Büro zurückzukehren“, berichtete Dr. Lerther. „Für einen Mann von solch ausgeprägtem Charakter und Intellekt, der es außerdem gewohnt ist, große Macht auszuüben, ist ein unerklärliches Ereignis wie dieses sicher eine frustrierende Herausforderung.“
Erst jetzt dämmerte Hillary die Tragweite dessen, was der Arzt ihr gerade erklärt hatte. „Um Himmels willen, Roel wird sich nicht mal an mich erinnern!“
„Darauf wollte ich mit meinen Erläuterungen hinaus“, sagte Dr. Lerther und klang gewappnet. „Umso erleichterter bin ich, dass Sie hier sind, um Mr. Sabatino den Beistand zu geben, den er in dieser Situation braucht.“
Sie runzelte die Stirn. „Ist Roels Tante Bautista nicht auch hier?“
„Soweit ich weiß, hat die Dame heute Morgen wegen eines dringenden sozialen Engagements das Land verlassen.“
Hillary war verblüfft. So viel zu Tante Bautista! Aus dieser Richtung war also keine familiäre Hilfe zu erwarten. Diese Teilnahmslosigkeit stieß sie ab. Sie dachte daran, dass sie nach wie vor in Roels Schuld stand und wie gern sie Roel sehen würde. Jetzt konnte sie ihm auf ganz unvoreingenommene und liebevolle Art helfen und ihn unterstützen. Das war eine sehr verlockende und verführerische Vorstellung. Aber wäre es nicht unaufrichtig, als seine echte Ehefrau aufzutreten? Schließlich war sie lediglich dem Namen nach seine Frau.
Ein bisschen schämte sie sich dafür. Andererseits hatte sie Roel hoch und heilig versprochen, niemals auch nur ein Wort über die wahren Umstände ihrer Ehe zu verlieren. Um ihr Gewissen zu beruhigen, beschloss sie, wenigstens die halbe Wahrheit zu sagen. „Ich sollte an dieser Stelle vielleicht gestehen, dass Roel und ich uns … na ja, entfremdet haben“, sagte sie verlegen.
„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und versichere Ihnen, dass nichts von dem, was Sie mir erzählt haben, weitergegeben wird. Ich muss Sie jedoch auch bitten, meinem Patienten keine möglicherweise aufwühlenden Informationen zukommen zu lassen, wenn sich das irgendwie vermeiden lässt.“ Der Arzt unterstrich diese Worte mit dem nötigen Ernst. „Auch wenn Ihr Mann es nicht zugeben will, er steht unter enormer Anspannung, und eine zusätzliche Belastung kann seine Genesung gefährden.“
Hillary wurde blass und nickte ernst. Über ihre Lippen würde nichts
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