Julia Collection Band 28
muss dahin kommen, dass sie die Fotos in einem Album aufbewahrt und um ihre Mutter trauert, wenn ihr danach ist. Dann kann sie das Album jederzeit ansehen, und sie kann an ihre Mutter denken, ohne zu fürchten, dass das falsch ist. Außerdem, das wäre jetzt eher der praktische Aspekt daran, würden die Fotos nicht so vom ständigen Herumtragen leiden.“
Erin hatte gesagt, was zu sagen war, und wartete ab. Als sich Sams Gesicht verschloss, dachte sie schon, er habe sich wieder in sich zurückgezogen, doch nach einer Weile schüttelte er seufzend den Kopf.
„Es war grundfalsch von mir, mit ihr nicht über Jenny zu sprechen, nicht wahr?“
„Nein“, versicherte Erin und setzte sich nun doch zu ihm auf die Couch. „Sie haben getan, was für Sie nötig war. Das ist doch kein Verbrechen, und deshalb brauchen Sie sich auch keine Vorwürfe zu machen.“
Plötzlich wirkte er viel älter und sehr müde. „Ich weiß nicht, wie ich das machen soll. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich mit Ihnen über Jenny sprechen soll.“
„Schon gut.“ Erin legte ihm die Hand aufs Knie. „Lassen Sie sich Zeit, und richten Sie sich nach Ihrem Gefühl. Sie haben das ganze Wochenende. Tut mir leid, dass ich dränge, aber je früher Sie damit anfangen, desto besser wäre es. Grundsätzlich scheint mit Jessica alles in Ordnung zu sein, aber sie muss lernen, wie man Gefühle ausdrückt, selbst wenn das schwierig ist. Und Sie müssen Ihr Lehrer dabei sein.“
Sam hasste es, jemanden um Hilfe zu bitten, doch das alles überstieg seine Kräfte. „Ich habe meine Gefühle so lange zurückgehalten, dass ich sie kaum noch zeigen kann. Geschweige denn über sie reden. Dazu brauche ich Ihre Unterstützung, Erin.“
„Aber natürlich, Sam“, beteuerte sie sofort. „Ich mache alles für Sie. Und es stimmt auch nicht, dass Sie keine Gefühle zeigen können. Sie sind in mancher Hinsicht sehr offen und gefühlvoll. Sie müssen das eben nur in allen Lebensbereichen machen.“ Sehr vorsichtig fügte sie hinzu: „Hatten vielleicht Ihre Eltern Schwierigkeiten mit Gefühlen?“
„Ach, Erin“, meinte er seufzend. „Wir sind nicht gut miteinander ausgekommen.“
„Sie und Ihre Eltern?“
„Ich spreche von Jenny und mir“, stellte er klar und schüttelte den Kopf. „Unglaublich, dass ich überhaupt darüber rede. Schließlich ist sie tot.“
„Das ist schon in Ordnung“, versicherte sie.
„Am Abend des Brandes habe ich Überstunden gemacht“, fuhr er fort. „Das wäre nicht nötig gewesen, aber … puh, ist das schwer“, murmelte er.
„Lassen Sie sich ruhig Zeit“, redete sie ihm zu.
„Ich wollte nicht heimkommen“, gestand er. „Das ist die schlichte und hässliche Wahrheit. Ich habe Jenny gegenüber behauptet, ich müsste unbedingt arbeiten. Die Überstunden habe ich freiwillig geleistet, nur um nicht nach Hause fahren zu müssen. An jenem Abend ist Jenny gestorben, weil sie unsere Tochter gerettet hat.“
„Sam!“, stieß Erin hervor. „Es tut mir leid. Können Sie mir erzählen, was geschehen ist?“
Er schluckte heftig und verkrampfte die Hände ineinander. „Es fing mit einer Kerze an. Jenny …“ Sekundenlang konnte er nicht weitersprechen. „Jenny mochte Kerzen und hatte fast ständig eine brennen. Jessica war von klein auf darauf getrimmt, nicht in die Nähe der Flamme zu gehen, sie hielt sich von Kerzen fern, und … Gott, ich hasse diese verdammten Dinger.“
Erin nahm sich vor, nie wieder in seiner Gegenwart eine Kerze anzuzünden. Wortlos griff sie nach seiner Hand und drückte sie. „Jenny und Jessica sind vermutlich auf dem Bett eingeschlafen. Im Videorecorder im Schlafzimmer fand man später eine geschmolzene Kassette von Mulan . Darum war ich einen Moment sprachlos, als Sie heute Abend diese Kassette eingelegt haben.“
„Das ist Jessies Lieblingsfilm“, erwiderte Erin.
„Sie hat ihn sich seit dem Brand nicht mehr angesehen“, fuhr er fort. „Ich habe ihr eine neue Kassette gekauft, aber …“
„Ich habe den Film schon am ersten Tag abgespielt“, berichtete Erin, „und seither haben wir ihn uns täglich angesehen. Aber erzählen Sie bitte weiter.“
Sam nickte knapp. „Als Jenny vom Rauch wach wurde, brannte bereits der Teppichboden. Die Flammen versperrten die Schlafzimmertür. Es blieb nur noch das Fenster. Wir wohnten damals im zweiten Stock.“
„O nein“, flüsterte Erin.
„Jenny hat sich heldenhaft verhalten“, fuhr er gequält fort. „Sie stand da, mitten im dichten
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