Julia Collection Band 61 (German Edition)
dem sie sich so sehnte.
Doch sie wusste, dass sie sich ihrem Chef gegenüber mit schlagfertigen Antworten zurückhalten musste, wenn ihre falsche Identität nicht auffliegen sollte. Er musste glauben, dass sie wirklich die schüchterne graue Maus war, die sie zu sein vorgab.
Vielleicht vermutete Tysons Anwalt Franklin Jarvis etwas, was der Wahrheit nahekam, denn er war mit ihrem Anwalt befreundet und hatte ihr seinem Freund zuliebe diesen Job besorgt.
Sie und ihr Anwalt in Los Angeles hatten Merri Davis sozusagen erfunden. Merri Davis war eine schüchterne, zurückhaltende junge Frau, die gern in einer kleinen Stadt leben und arbeiten wollte.
Und das war nicht mal allzu sehr von der Wahrheit entfernt. Auch wenn in den Zeitschriften das Gegenteil behauptet wurde, weil Merri nach ihrer Ausbildung sogar in Paris als Model gearbeitet hatte und seitdem überall, wo sie auftauchte, von Reportern umgeben war. In Wahrheit war sie eher menschenscheu und hatte sich schon immer danach gesehnt, unauffällig in einer Kleinstadt zu leben. Also würde sie in den sauren Apfel beißen und ihren neuen Chef bedienen, wenn dadurch ihre Identität geheim gehalten werden konnte.
Merri steckte sich ein paar lose Strähnen ihres mittelbraun gefärbten Haars fest, betrat das Büro ihres neuen Chefs und stellte den Becher mit der dunklen Brühe, die man hier Kaffee nannte, auf seinen Schreibtisch.
„Danke“, sagte Tyson ohne aufzusehen und machte eine herrische Handbewegung. „Setzen Sie sich.“
Dieser Befehlston! Merri sträubten sich die Nackenhaare. Sie nahm Platz und betrachtete Tyson Steele durch ihre Brillengläser, die aus Fensterglas waren. Er telefonierte und achtete nicht weiter auf sie.
Was sie sah, gefiel ihr. Seine Augen waren von einem geradezu gefährlichen Blau. Die enge Jeans, die er trug, war verblichen, die Hemdsärmel hatte er aufgekrempelt. Ihr wurde plötzlich warm bei seinem Anblick.
In den letzten zwei Tagen war sie schon häufig in diesem Büro gewesen und hatte sich mit den Akten der verschiedenen Sponsoren vertraut gemacht. Dieser Teil ihrer Aufgabe war ihr leichtgefallen.
Schwieriger war es, einem anderen Wunsch von Tysons Anwalt nachzukommen. Er hatte sie gebeten, ihm dabei zu helfen, das Image seines Klienten ein wenig aufzupolieren. Als sie ihn erstaunt angesehen hatte, denn schließlich war Steele ein bekannter Multimillionär, war er deutlicher geworden. Er hoffte, dass sie, die in einem Internat erzogen worden war und in L. A. gearbeitet hatte, seinem Klienten die Cowboymanieren abgewöhnen konnte.
Da ihr zukünftiger Chef offenbar ein ungehobeltes Raubein war, hatte sie nur zögernd eingewilligt, doch nur zu bald musste sie feststellen, dass sie Tyson Steele trotz seiner abweisenden Art ungeheuer attraktiv fand.
Merri schreckte aus ihren Gedanken auf, als ihr Chef den Hörer auflegte und nach dem Kaffeebecher griff. Schon nach dem ersten Schluck verzog er angewidert das Gesicht.
„Typisch. Wieder zu stark und zu heiß. Einen besseren Kaffee bringt man hier wohl nicht zu Stande.“
„Vielleicht sollten Sie ins einundzwanzigste Jahrhundert eintreten und es mal mit einer modernen Kaffeemaschine versuchen.“ Merri biss sich auf die Unterlippe. Das hätte sie nicht sagen sollen.
Tyson sah sie schweigend an. Dann setzte er den Becher ab und griff nach einem Stapel Papiere. „Also, Miss …“ Er zögerte und warf ihr wieder einen durchdringenden Blick zu.
Merri atmete so unauffällig wie möglich tief durch. Der Raum kam ihr plötzlich viel zu klein und eng vor. „Davis“, sagte sie schnell, um die gefährliche Stille zu beenden. „Aber bitte nennen Sie mich Merri.“ Sie fühlte, wie sich Schweißtropfen an ihren Schläfen bildeten, und strich sich verlegen über das Haar. Er durfte auf keinen Fall misstrauisch werden, also musste sie sich unbedingt zusammenreißen. Wenn Steele sie bei ihrer Lüge ertappte, hätte er sicher keine Hemmungen, der Presse ihren Aufenthaltsort zu verraten. Dann wäre nicht nur ihr neues Leben zu Ende, sondern sie hätte auch keine Möglichkeit, ihm bei seiner groß angelegten Spendenaktion für seine Waisenkinder zu helfen.
„Gut, dann also Merri“, sagte Tyson beiläufig, „und Sie können mich Ty nennen wie alle anderen. Die einzige Ausnahme bildet meine Tante Jewel, die meistens Tyson zu mir sagt, es sei denn, sie ist gerade sehr ärgerlich auf mich. Dann bin ich Tyson Adams Steele, und in dem Moment weiß ich, dass es Zeit ist, ihr aus dem Weg zu
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