Julia Extra 0357
sie das Risiko nicht vergessen. Würde sie die Stärke besitzen, Gabriel nicht die Wahrheit zu sagen? Würde sie ihm vierundzwanzig Stunden lang ins Gesicht lügen können? Konnte sie so tun, als ob sie ihn liebte, ohne sich tatsächlich wieder in ihn zu verlieben?
Wie auf ein mysteriöses Stichwort hin blendeten in diesem Augenblick die Scheinwerfer der vor dem Grundstück geparkten schwarzen Limousine auf. Laura hörte das leise Schnurren des Motors, als der Wagen langsam die Auffahrt hochfuhr.
Der Moment der Entscheidung war gekommen.
„Und du versprichst, dass du uns danach in Ruhe lässt und nie wieder hierher zurückkommst?“, fragte Laura mit angespannter Stimme.
Gabriel presste die Lippen zusammen und nickte.
„Also gut.“ Sie schloss kurz die Augen und atmete tief ein. „Dann werde ich es tun.“
Eine Stunde später erreichten sie den kleinen Privatflugplatz, wo Gabriels Jet schon vor dem Hangar wartete.
Während sie über die asphaltierte Rollbahn schritten, musterte Gabriel die Frau an seiner Seite unauffällig. Laura war sogar noch schöner, als er sie in Erinnerung hatte. Im Mondlicht sah ihr Haar aus wie dunkler Honig. Die frostige Winterluft hatte einen rosigen Schimmer auf ihre Wangen gezaubert, und ihr herzförmiger Mund war eine einzige Einladung zum Küssen.
Widerstrebend riss Gabriel sich von dem verlockenden Anblick los und richtete seine Gedanken auf das vor ihm liegende Unternehmen. Nach den zermürbenden Rückkaufsverhandlungen der letzten Monate stand er wieder einmal unmittelbar vor dem Ziel. Aber dieses Mal würde er nicht scheitern! Er schaute kurz auf seine Armbanduhr. Sie waren immer noch im Zeitrahmen, wenn auch knapp.
Als sie die Stufen zum Jet hinaufstiegen, blieb Laura plötzlich stehen. Die Babytrage mit Robby an einem Arm, das Windelpaket unter dem anderen, warf sie Gabriel über die Schulter hinweg einen angespannten Blick zu. „Könnten wir nicht noch einmal zurückfahren?“, bat sie ihn. „Ich fürchte, ich habe doch einiges vergessen.“
„Reicht das, was du dabei hast, für den Flug?“, erkundigte er sich knapp.
„Ja, aber …“
„Alles andere wirst du in Rio vorfinden“, teilte er ihr in einem Tonfall mit, der keine Widerrede zuließ. „Und sollte doch etwas fehlen, wird es umgehend besorgt.“
Laura schien mit dieser Auskunft nicht sehr glücklich zu sein, aber als sie Gabriels unnachgiebige Miene sah, fügte sie sich in ihr Schicksal und ging an Bord.
In der Kabine ließ Gabriel sich in einen der weißen Ledersitze fallen und nahm dankbar das Glas Champagner entgegen, das der Steward ihm anbot. Es war schwieriger als erwartet gewesen, Laura zum Mitkommen zu bewegen, und jetzt schien sie aus einem unerfindlichen Grund sauer auf ihn zu sein. Sie hatte auf dem Sitz ihm gegenüber Platz genommen und warf ihm unter ihren langen Wimpern regelrecht feindselige Blicke zu.
Gabriel war sich keiner Schuld bewusst, ganz im Gegenteil. Er war vielmehr der Meinung, dass er derjenige war, der sauer sein sollte. Er war es doch gewesen, der von einem Tag auf den anderen ohne seine engste Mitarbeiterin dastand. Und hatte er sich in irgendeiner Weise dafür gerächt? Nein, er hatte sie großherzig und ohne jeden Vorwurf von ihren Pflichten entbunden und ihrer Wege ziehen lassen. Es war die Tat eines Heiligen gewesen, besonders, wenn man bedachte, dass es ihm bis heute nicht gelungen war, die Lücke zu füllen, die Laura in seinem Büro hinterlassen hatte.
„Ich kann nur hoffen, dass du einen vertrauenswürdigen Babysitter engagiert hast“, bemerkte sie nun in mürrischem Tonfall und bedeutete dem Steward mit einer Handbewegung, dass sie keinen Champagner wollte.
Gabriel leerte genüsslich seine Kristallflöte. „Maria Silva.“
Laura blinzelte überrascht. „Deine Haushälterin?“
„Sie war früher meine Nanny.“
Vor Gabriels innerem Auge tauchten unvermittelt Bilder seiner Kindheit auf. Wie er mit seinem großen Bruder spielte oder – was häufiger vorkam – mit ihm herumbalgte, bis Maria energisch dazwischenging und sie wieder zur Räson brachte. Nur ein Jahr jünger als Guilherme, hatte Gabriel permanent mit ihm konkurriert. Ständig hatte er versucht, vor den Augen seiner Eltern als der Bessere dazustehen und ein idiotisches Kräftemessen nach dem anderen angezettelt, um seine Überlegenheit zu beweisen. Bis das Ganze dann in dem Unfall in jener Nacht gipfelte …
Rasch wandte er das Gesicht ab und sagte brüsk: „Ich würde Maria mein Leben
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