Julia Extra 360
tun hatten.
„Nein, Sie wirken nicht verweichlicht“, beeilte er sich zu sagen. „Ganz und gar nicht.“
„Und wie ist es mit Ihnen, Finn? Treiben Sie irgendwelchen Sport?“
„Jetzt nicht mehr. Früher bin ich gelaufen, geschwommen und viel Rad gefahren. Inzwischen weben die Spinnen ihre Netze in den Speichen meines Fahrrads, fürchte ich.“
„Ein Grund mehr, es vom Speicher zu holen“, meinte Ellie und lachte.
„Vielleicht tue ich das eines Tages“, sagte Finn und blickte einem Radfahrer nach, der an ihnen vorbeizischte. „Wenn ich ehrlich bin, vermisse ich das Radeln.“
„Ach, eines Tages ist ein Datum, das vielleicht nie kommt“, gab sie zu bedenken. „Zu oft funkt einem die To-do-Liste dazwischen. Und bevor man weiß, wie einem geschieht, ist wieder ein Jahr vorbei, und noch eins, und man sitzt immer noch am Schreibtisch, statt zu tun, was man wirklich möchte.“
In ihrer Stimme schwang ein sehnsüchtiger Ton mit. Wonach sehnte sich Ellie Winston? Nach mehr Zeit an der frischen Luft? Oder gab es in ihrem Leben eine andere Leerstelle?
Am liebsten hätte er Ellie gefragt, welche das wäre. Und ihr gesagt, wie gut er sich mit dem Stopfen solcher Löcher im Leben auskannte. Arbeit war, seiner Erfahrung nach, das beste Mittel. Und das beste Gesprächsthema.
„Was soll man denn machen, wenn die geschäftliche To-do-Liste länger und drängender ist als die persönliche?“, fragte Finn.
„Gehört es nicht zum Geschäft, sich um sich selbst zu kümmern? Es heißt doch, nur wenn der Direktor glücklich ist, kann auch die Belegschaft glücklich sein.“
Ellie lächelte ihn strahlend an, und ihm wurde ganz seltsam zumute. Ja, sie war berauschend. Alles an ihr war berauschend. Sie war einfach einzigartig, faszinierend und unglaublich attraktiv.
Plötzlich malte er sich aus, er würde mit ihr eine Wanderung in den Bergen machen. Auf einem Gipfel picknicken und die geschäftige Welt von oben betrachten, während die Sonne ihnen die Gesichter wärmte und eine sanfte Brise sie umfächelte.
Lieber Himmel, was hat sie nur an sich, das mich immer wieder ablenkt? dachte Finn missmutig. Er sollte sich aufs Geschäftliche konzentrieren – und vor allem auf die Frage, warum Ellie Winston ihm vor Kurzem einen Heiratsantrag gemacht hatte.
Er räusperte sich. „Wegen Ihres Antrags vorhin … also, war der ernst gemeint?“
„Ja, sehr.“ Sie wirkte jetzt ganz sachlich und zugleich nachdenklich, während sie eine junge Familie beobachtete, deren Kinder mit dem Hund um die Eltern herumtobten. „Ich brauche etwas von Ihnen, Sie brauchen etwas von mir. Mit einer Heirat ist uns beiden gedient.“
„Wir könnten für das Piedmont-Projekt eine spezielle Übereinkunft ausarbeiten. Es geht schließlich nur um ein einziges Projekt!“
Ellie sah ihn eindringlich an. „Ich brauche einen Ehemann. Und das sofort.“
„Warum?“
„Lassen Sie mich erst einige Vorteile aufzählen. Sie sind die sinnlosen Dates doch bestimmt so leid, wie ich es bin“, begann sie. „Wahrscheinlich haben Sie auch schon in die Zukunft geblickt und sich gefragt, wie um alles in der Welt Sie die Erfüllung Ihrer Träume in Ihrem Terminkalender unterbringen sollen.“
„Eigentlich hatte ich dafür Dienstag, den dreißigsten März nächsten Jahres vorgesehen“, erwiderte er scheinbar ernst.
Sie lachte laut los, und wieder wurde ihm seltsam zumute. Niemand hätte ihm Sinn für Humor zugeschrieben, aber Ellie fand ihn, Finn McKenna, offensichtlich amüsant. Das gefiel ihm. Und er fragte sich, was sie sonst noch über ihn dachte.
Aber das war schon wieder ein abwegiger Gedanke.
„Ich wollte es in meinem Kalender früher eintragen“, gestand Ellie. „Viel früher.“
„Warum? Warum jetzt? Und warum ausgerechnet ich? Ich meine, Sie sind eine wunderschöne Frau, Ellie. Außerdem klug, charmant und sexy. Sie könnten doch jeden Mann der Welt haben, nach dem Ihnen der Sinn steht.“
„Na ja, ich … danke für das Kompliment!“ Sie errötete zart und überlegte eine Weile, bevor sie antwortete. „Es gibt da ein kleines Mädchen in China, das keine Eltern mehr hat. Ich habe der Mutter hoch und heilig versprochen, mich um die Kleine zu kümmern, das heißt, sie zu adoptieren. Alles lief glatt – bis heute Morgen. Da habe ich erfahren, dass ich einen Ehemann brauche, um die Adoption durchführen zu können.“
„Moment mal!“ Finn hob abwehrend die Hände. „Ich möchte auf keinen Fall sofort Vater eines fremden Kinds
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