Julia Extra 360
Kummer zu vergessen, sagte der Mann. Er erzählte ihr von dem Geld und von der guten Ausbildung, die sie ihrem schönen kleinen Jungen bieten könnten. Sie würden auf der Nachbarinsel Lathira neu anfangen und ihn als ihr eigenes Kind großziehen.
Roula dachte an Alexandros, der noch immer bei dem Mistkerl war. Sie musste ihn retten. Sie dachte an den Ouzo und die Freier, die sie in dieser Nacht haben würde, an all die schrecklichen Dinge, die sie getan hatte. Sicherlich hatte Nico Besseres verdient.
Die Frau des Fremden hob ihn hoch, und er schrie. Genauso wie er in jenen ersten Nächten geschrien hatte, als er Alexandros so sehr vermisst hatte.
Aber er wird sich eingewöhnen, sagte sich Roula, während sie im Wartezimmer des Anwalts saß und einen Sohn abtrat in der Hoffnung, den anderen zu retten.
Nico wird sich eingewöhnen, redete sich Roula wieder ein, als das Ehepaar mit ihrem Baby hinausging. Bald würde Nico vergessen.
Sie dagegen würde ihr ganzes Leben damit verbringen, es zu versuchen.
12. KAPITEL
„Zander …“
Als Charlotte sah, dass ihr Handy wieder Empfang hatte, rief sie Zander an, obwohl sie Nico zuerst hätte anrufen sollen.
„Tut mir leid, dass ich es nicht rechtzeitig geschafft habe. Ich bin jetzt auf dem Weg.“
„Ist alles in Ordnung mit dir?“
Charlotte hörte ihm an, dass er besorgt war.
„Du klingst, als hättest du geweint.“
Erst im Taxi war sie zusammengebrochen, was sie vor Zander zu verbergen versuchte. Dass sie ihm deswegen etwas vorheulte, war zweifellos unangebracht.
„Mir geht’s gut. Ich müsste in einer Stunde da sein.“
Der Empfang war schlecht, und Zander machte eine Bemerkung darüber. „Wo bist du?“
„In den Bergen.“
„Du bist in die Berge gefahren? Ich dachte, du wolltest dich mit mir treffen.“
„Ich sitze in einem Taxi und bin auf dem Rückweg. Ich hatte etwas für Nico zu erledigen.“
„Etwas so Wichtiges, dass du mich warten lässt. Ich habe den Vertrag unterschrieben. Das war es doch, was er wollte.“
Charlotte sah auf ihre Armbanduhr. Es war weit nach acht, und obwohl sie es Nico eigentlich zuerst sagen musste, war es Zander, den sie liebte. „Ich bin für Nico einer Spur zu eurer Mutter nachgegangen. Zander, ich habe sie gefunden. Ich habe gerade mit deiner Mutter gesprochen.“
Das Klicken des Telefons war alles, was Charlotte hörte. Für einen Moment glaubte sie, er hätte das Funksignal verloren. Sie rief ihn erneut an, und als er den Anruf nicht entgegennahm, als es einfach nur klingelte, wusste sie, dass er jetzt abreiste. So, wie er es sah, war es wieder passiert: Sie hatte sich gegen ihn entschieden.
Sie wählte Nicos Nummer, und Constantine meldete sich. „Ich habe sie gefunden.“
Wie es Roula gehe, fragte Constantine sofort.
„Nicht gut, sie ist sehr schwach“, erwiderte Charlotte, erzählte Constantine einen kleinen Teil der Geschichte und machte mit ihr ab, sich am nächsten Tag mit ihnen zu treffen und es ihnen besser zu erklären. „Eins verstehe ich nicht. Roula hatte das Geld, nachdem sie Nico verkauft hatte. Also warum hat sie davon nicht den Anwalt bezahlt, damit sie Zander bekommt?“, fragte Charlotte.
„Weil der Anwalt dauernd sein Honorar erhöht hat. Weil der Anwalt nicht für Roula arbeiten und dabei riskieren wollte, dass sie aufdeckt, was er getan hatte.“
„Woher wissen Sie das?“, fragte Charlotte.
„Dieser Anwalt war mein Vater.“
Überall Schmerz, dachte Charlotte. Ein Schmerz, der vielleicht zu tief saß, um jemals zu vergehen. Andererseits, wenn Nico und Constantine sich dem Schmerz stellten und mit ihm leben konnten, dann hatten Zander und sie sicher auch eine Chance.
Vor dem Hotel sprang Charlotte aus dem Taxi, bevor der Fahrer es zum Stillstand gebracht hatte. Sie sah das luxuriöse Gepäck auf dem goldfarbenen Kofferkuli und weinte fast vor Erleichterung, dass Zander noch nicht weg war.
„Zander, bitte …“ In der Hotelhalle lief Charlotte auf ihn zu, während er auf dem Weg nach draußen zum wartenden Auto war. „Es tut mir leid, aber Nico …“
„Nico?“, stieß er hasserfüllt hervor. „Nico schnippt mit den Fingern, und du rennst los. Du hattest vor, mit mir zu essen. Und lässt für ihn all deine Pläne fallen.“
„Ich habe deine Mutter kennengelernt! Ich habe mit ihr gesprochen. Möchtest du nicht einmal wissen, wie es ihr geht?“
„Nein.“ Für Zander war es so einfach. „Sie interessiert mich nicht. Du benutzt sie als faule Ausrede. Ich habe
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