Julia Extra Band 0198
später arbeiten … wenn ich wieder abgereist bin.”
“Und wann wäre das?”
“Das steht noch nicht eindeutig fest.”
“Da müssen Sie ja einen sehr verständnisvollen Chef haben.”
Flora schenkte ihm ein undurchschaubares Lächeln; sie verriet ihm nicht, dass sie seit gut einem Jahr innerhalb ihrer Sozietät ihr eigener Chef war. Überdies hatten ihre Anwaltskollegen sie während der gesamten Dauer des nervenraubenden Gerichtsprozesses ihres Vaters außerordentlich unterstützt.
“Nun, ich wollte Ihnen ja bloß noch einmal die Chance für einen Rückzieher geben …”
“Wirklich sehr fürsorglich von Ihnen, sich über meine Arbeitsbelastung so viel Gedanken zu machen.”
Flora empfand sich allerdings überhaupt nicht fürsorglich, sondern bloß eingekreist!
“Ich darf aber von mir behaupten, dass ich ganz gut in der Lage bin, mehrere Dinge gleichzeitig ordentlich zu tun.”
Bei diesem Eigenlob musste Flora etwas müde lächeln. “Da wären Sie aber der erste Mann, den ich treffe, der das hinbekommt.”
Nun machte sich ein so selbstbewusstes Lächeln auf seinem Gesicht breit, dass es schon arrogant wirkte. “Ich glaube, ich wäre nicht nur in dieser Hinsicht der erste Mann, der so ganz anders ist als all die anderen, denen Sie begegnet sind.” Der satte Tonfall seiner Stimme legte sich wie warmer Sirup auf Flora.
Sie schluckte nervös und leckte die kleinen Schweißperlen, die sich plötzlich auf ihrer Oberlippe gebildet hatten, mit der Zungenspitze ab.
Seine stahlgrauen Augen verrieten, dass er ihre Nervosität sehr wohl bemerkte. “Aber eines müssen Sie bedenken – ich und mein Sohn, wir bleiben nicht so sehr lange hier.”
Flora war neugierig. “Reisen Sie dann noch weiter …?”
“Ein Mann muss dahin gehen, wo es gerade Arbeit für ihn gibt.”
Diese ganz emotionslos vorgetragene Feststellung bekräftigte Floras erste Vermutung seine Finanzen betreffend. Nun war sie von Neuem froh, ihm doch einen Auftrag verschaffen zu können, auch wenn er ihr die Sache nicht gerade einfach machte.
“Das ist bestimmt nicht leicht, wenn man ein Kind im Schlepptau hat”, bemerkte sie Anteil nehmend.
“Ist das jetzt gerade versteckte Kritik an meiner Lebensführung?”
“Nein, Liam wirkt doch wie ein fröhliches und ausgeglichenes Kind; außerdem möchte ich so etwas gar nicht beurteilen, da ich doch selbst kein Kind habe.” Und wenn ich mein Leben weiter so schlingern lasse, wahrscheinlich auch nie eins haben werde, dachte sie düster. Bei dem Gedanken an ein eigenes Kind verspürte sie auf einmal eine tiefe Wehmut und eine merkwürdige Sehnsucht. Was war bloß mit ihr los? Bislang hatte sie immer gemeint, mit ihren jetzt siebenundzwanzig Jahren noch viel Zeit vor sich zu haben, über diese Entscheidung zu befinden.
“Ihr Paul wollte wohl kein Kind haben? Ich meine, weil Sie anscheinend noch so wenig darüber nachgedacht haben …”
“Ach, Paul, der wäre wohl erst dann gern Vater geworden, wenn er meinte, es sich von seiner Karriereplanung und seinem gehobenen Lebensstil her rundherum leisten zu können.”
“Klingt eigentlich wie der perfekte Partner für Sie. Sie mögen doch auch einen gehobenen Lebensstil ganz gern, oder?” Er musterte demonstrativ ihre teuer aussehende Kleidung.
“War das jetzt gerade versteckte Kritik an meiner Lebensführung?”, konterte sie und gab damit den Ball von eben zurück. “Aber ich habe keine Lust, darüber jetzt zu diskutieren, Mr Prentice.”
“Oh, Sie erinnern sich ja noch an meinen Namen – auch wenn das eine Weile gedauert hat …” meinte er leicht süffisant. “Aber nennen Sie mich doch bitte Josh.”
Vor allem erinnere ich mich an noch ganz andere Dinge, dachte sie, zum Beispiel an diesen aufregenden Kuss. “Aber anscheinend habe ich dafür inzwischen schon vergessen, wie nassforsch Sie sein können, denn andernfalls hätte ich Ihnen wohl den Job nicht angeboten”, fauchte sie.
“Oh, da muss ich mich ja jetzt extrem vorsehen”, gab er mit einem zynischen Grinsen zurück. “Das kann ja heiter werden. Wahrscheinlich werde ich bei jedem einzelnen Arbeitsschritt Ihrer strengen Beobachtung ausgesetzt sein …”
Flora hatte für diese provokative Bemerkung gar kein Ohr, denn gerade war sie viel zu sehr damit beschäftigt, sich zu fragen, ob er es beim Malern wohl auch vorzog, mit freiem Oberkörper zu arbeiten. Bei dieser Vorstellung wurde ihr auf einmal ganz heiß. Trotzdem bemühte sie sich um eine gelassene Antwort.
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