Julia Extra Band 0198
immer alles nach Plan ging.
Die Sorgen um ihre Tochter fraßen an Julia. Was konnte ihrem Mädchen nicht alles passieren, da draußen im Dunkeln in der Stadt, mit einem halbwüchsigen, ebenso unreifen Jungen? Aber das Schlimmste war der Schmerz. Die Enttäuschung darüber, wie kalkulierend und betrügerisch Kelly ihre Rebellion gegen die Mutter vollzog. Hinterhältig. Falsch. Verschlagen. Das waren die einzigen Worte, die ihr einfielen, und bei den Worten zog sich ihr Magen zusammen und wurde hart wie ein Stein.
Ein leises metallenes Kratzen am Fenster ließ Julia auffahren. Aha. Kelly kam also nach Hause. Julia musste sich zusammennehmen, um ruhig in dem Schaukelstuhl sitzen zu bleiben. Ihre Tochter war geschickt, sie würde die Leiter unbeschadet hinaufklettern, da brauchte sie sich keine Sorgen zu machen. Aber das Ausmaß ihrer Wut überraschte sie selbst. Sie fühlte sich betrogen und verraten, von der einzigen Person, der sie bisher uneingeschränkt vertraut hatte.
Kelly kletterte auf die Fensterbrüstung und landete mit einem kleinen erleichterten Stoßseufzer auf dem Fußboden. Dann schlich sie sich zum Bett und ließ sich auf die Bettkante sinken.
Genau in diesem Moment schaltete Julia die Stehlampe neben dem Schaukelstuhl ein.
“Mom!” Vor Schreck wurde Kelly bleich wie ein Laken. “Wieso bist du denn schon zu Hause?”
Julia musterte ihre Tochter für einen Moment schweigend, bevor sie anhob: “Also hast du meine Nachricht bekommen.”
Kelly vermied es, ihre Mutter anzusehen. “Natürlich. Du sagtest, dass du erst gegen zehn zurückkommen würdest.”
“Du hörst nicht zu. Ich sagte, ich würde vor zehn zurück sein.”
Kelly starrte mit leerem Blick auf eine Wand.
“Kelly, sieh mich an.” Es dauerte eine Zeit, bis Kelly dieser Aufforderung nachkam. “Wo warst du, junge Dame?”, fragte Julia dann streng.
“Ich, äh … nun, ich …” Hektisch sah sich Kelly im Zimmer um. “Mom, ich weiß, du hast gesagt, ich soll zu Hause bleiben, aber ich … Nun, Sheila hatte da ein Problem.” Kelly schluckte. “Ja, genau so war es. Ich war bei Sheila.”
Die glatte Lüge schnitt tief wie ein Messer in Julias Herz. Um ihre beste Freundin zu besuchen, brauchte Kelly keine Leiter, keine Kissen unter der Bettdecke, keine abgeschlossenen Türen. Dieser Stich war so schmerzhaft, dass Julia am liebsten aufgeheult hätte, aber sie würde nicht vor ihrer halbwüchsigen Tochter in Tränen ausbrechen. Sie schwieg und wartete ab.
“Ja, Mom, Sheila musste mit jemandem reden”, plapperte Kelly jetzt nervös drauflos. “Sie hat mit ihrem Freund Schluss gemacht, und deshalb brauchte sie mich, damit ich sie tröste.”
Als Julia immer noch nichts sagte, erzählte Kelly wild drauflos. “Sie rief an, bevor du angerufen hast. Sie hat geheult und war völlig aufgelöst. Und ich dachte, du hättest sicher nichts dagegen, wenn ich zu ihr gehen und ihr helfen würde, mit ihr reden würde, um sie zu beruhigen.” Kelly blinzelte.
Es war so offensichtlich, dass Kelly log. Was sollte Julia nun tun, was sollte sie sagen? Als alleinerziehende Mutter hatte sie bisher nie vor einer solchen Situation gestanden. Sie schloss für einen Sekundenbruchteil die Augen. Hörte plötzlich die Stimme ihres Vaters, der wütend auf sie einschimpfte. Sie durfte die Beherrschung nicht verlieren, sonst würde sie Kelly so verletzen, wie ihr Vater sie verletzt hatte. Das durfte nie passieren.
“Kelly …” Sie musste sich räuspern. “Kelly, ich weiß, dass du lügst. Ich bin deine Mutter, ich weiß genau, wann du die Unwahrheit sagst. Außerdem”, sie schüttelte den Kopf, “bist du keine sehr geübte Lügnerin.” Julia bemühte sich, sich zu entspannen. “Also, du warst nicht bei Sheila, so viel ist klar. Wir können also jetzt noch eine ganze Weile Spielchen spielen, bis du endlich mit der Wahrheit herausrückst, aber ich halte es für besser, wenn du es jetzt sofort zugibst.” Sie lehnte sich in den Schaukelstuhl zurück. “Außerdem kann ich mir ziemlich genau denken, wo du warst.”
Kellys verlegene Nervosität schlug in Trotz um. “Na, wenn du es dir so genau denken kannst, dann brauche ich es ja nicht mehr zu sagen.”
Julia rührte sich nicht. Wie konnte ihre Tochter es wagen, so mit ihr zu reden! Die Wut, die sie so mühsam erstickt hatte, züngelte wieder auf. “Ich will sofort den Namen des Jungen wissen!”, verlangte sie. “Ich werde seine Eltern informieren und sie nach ihrer Meinung fragen, was sie davon
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