Julia Extra Band 0258
näher.Gleich würde es so weit sein.
Doch was ist morgen? Würde sie dann mit ihm weiterarbeiten wie bisher? Wer konnte sagen, ob sie den Job überhaupt unter diesen Umständen behalten würde. Susan schluckte. Sie war doch sonst auch nicht so unvernünftig.
Es war verrückt. Erst hatte Jake ihr eine Vernunftehe angeboten. Jetzt wollte er unverbindlichen Sex. Alles bot er ihr, nur nicht das, wonach sie sich sehnte.
Plötzlich musste sie an das Foto von Tatiana im Silberrahmen denken, und ihr Herz zog sich schmerzlich zusammen. Sie hatte keine andere Wahl. „Lass mich los!“, schluchzte sie. „Du bist nicht fair. Das ist gegen die Regeln!“
Das Ersatzteil war angeliefert worden. Der Alltag war in der Mine zurückgekehrt. Seit zwei Wochen lief wieder alles nach Plan. „Fast jedenfalls!“, murmelte Susan vor sich hin, während sie in den Schubladen der Kommode nach ihrem Zeichenblock suchte. Jake beherrschte ihr Denken. Sie konnte nicht anders: Sie musste ihn immer ansehen. Immer wieder berührte er sie kurz – zum Beispiel wenn er sie zum Dinner begleitete oder wenn sie sich im Gelände befanden –, und das war für sie kaum zu ertragen.
Am liebsten hätte sie ihm die Meinung gesagt und ihm erzählt, was sie von seiner galanten, höflichen Art hielt. Er benahm sich, als ob er ihr ganz altmodisch den Hof machte. Was für eine alberne Idee …
Seit sie sich beim Kickboxtraining näher gekommen waren, benahm er sich sozusagen mustergültig. Na ja, kein Wunder. Das hatte sie sich selbst zuzuschreiben. Sie war nicht gerade sanft mit ihm umgesprungen. Das hätte sogar zu ihrem Rausschmiss führen können.
Sie fand den Block in der untersten Schublade. Die Arbeit war heute getan, die Sonne schien noch vom Himmel. Bis sieben Uhr war Jake in seinem Büro beschäftigt. Also würde sie sich draußen ein nettes Plätzchen suchen und dort in aller Ruhe zeichnen.
Das war ein gutes Mittel gegen Stress.
Susan musste daran denken, wie die letzten zwei Wochen verlaufen waren. Man hätte glauben können, dass Jake ernsthaft an ihr interessiert war.
Andererseits hatte sie oft genug beobachtet, wie er sachte über Tatianas Fotos strich – sie standen nicht nur im Salon, sondern auch in dem Raum, der an sein Schlafzimmer grenzte. Dort hatte sie inzwischen abends schon einige Male mit ihm gesessen und über Smaragde gefachsimpelt.
Aber auch wenn sie sich wirklich gut verstanden, sein galantes Verhalten ihr gegenüber durfte sie nicht als Flirten ansehen: Sein Aussehen, sein Lächeln, seine Art, sie zu berühren, das alles war sein persönlicher Stil. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Es wäre dumm, da etwas hineinzulegen.
Gut gelaunt nahm Susan jetzt den Block und verließ das Haus. Sie spazierte über den gepflegten Rasen und folgte einem steinigen Weg, der in ein kleines Tal mit Büschen und Bäumen führte. Dahinter ging es wieder etwas hinauf und dann zu einem Felsen, der weit ins Meer hineinragte. An seiner äußersten Spitze saß jemand und angelte. Es war George.
Jakes Vater trug ein buntes, offenes Baumwollhemd über einem weißen T-Shirt, hatte sich die Hosenbeine hochgekrempelt und war barfuß. Den Hut hatte er sich tief in die Stirn gezogen. Eine gelbe Feder steckte im Hutband, sie bog sich wild im Wind.
Das war nicht der brummige alte Herr, den sie bisher kennen gelernt hatte. Seine Haltung drückte eher etwas Verletzliches aus. Zum ersten Mal fühlte sie mit ihm, ahnte, wie einsam er war. Kein Wunder, dass er sich nach Enkelkindern sehnte. Denen könnte er zeigen, wie man angelte und wie man Schach spielte. Das würde ihn bestimmt glücklich machen.
Susan setzte sich ins Gras und begann, ihn zu zeichnen. In kürzester Zeit hatte sie alles um sich herum vergessen. George saß still da und bewegte sich kaum. Offenbar interessierte es ihn gar nicht, ob ein Fisch anbiss oder nicht.
Sie probierte mehrere Skizzen, bis sie endlich zufrieden war. Diese letzte Zeichnung gefiel ihr. Sie fand, sie drückte all das aus, was sie in George sah: seinen Stolz, seine Einsamkeit, das Skurrile.
Ab jetzt würde sie mehr Verständnis für die knurrige Art des alten Mannes haben können. Müde schloss sie die Augen und verlor sich in ihren Gedanken. Es wäre doch nett, ihm die Enkelkinder zu schenken, nach denen er sich sehnte. Verärgert über ihre absurden Tagträume, rief sie sich zur Ordnung: „Lass das!“
„Was habe ich denn jetzt schon wieder getan?“
Sie erschrak. Jake!
„Es geht nicht immer nur um dich!“,
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