JULIA EXTRA BAND 0262
Dieser Unfall hätte nicht passieren dürfen. Es wäre auch nichts geschehen, wenn Joey gehorcht hätte. Konnte von einem Vater erwartet werden, dass er seinen Sohn jede Sekunde im Auge behielt? Luke war davon ausgegangen, dass Joey sich genau so verhielt, wie er es ihm eingeschärft hatte.
Vielleicht mangelte es dem Jungen ja an Disziplin. Vielleicht war Erin ihm gegenüber zu nachgiebig gewesen. Beim Gedanken an sie wurde Luke ganz mulmig zumute. Verdammt, bestimmt würde sie ausrasten, wenn sie davon erfuhr. Vielleicht würde sie ihm niemals verzeihen.
Trotzdem sollte er versuchen, sie noch einmal anzurufen. Widerstrebend griff er in die Tasche, um sein Handy herauszuholen. In diesem Moment öffneten sich die Türen des Aufzugs.
Erin erblickte Luke in dem Moment, als sie aus der Kabine des Lifts stieg. Luke wirkte sehr niedergedrückt.
Oh Gott, Joey …
Als Luke sie sah, richtete er sich überrascht auf. Ob er wütend war, weil sie hier so einfach auftauchte? Aber sie hatte kommen müssen.
Mit weiten Schritten ging er durch den Flur auf sie zu, und ihr Herz fing wie wild zu klopfen an. Bald würde sie die schlimmen Nachrichten hören. Er würde ihr sagen, was mit ihrem Kind passiert war.
„Wo ist Joey?“, schrie Erin und lief auf ihn zu. Dann gaben die Knie unter ihr nach, und sie stolperte.
Luke konnte sie noch im letzten Moment vor dem Fallen bewahren.
Voller Angst sah sie ihn an und zwang sich, die Frage zu wiederholen. „Wo ist Joey? Wie … wie geht es ihm?“
Trotz seiner Bräune sah Lukes Gesicht aschfahl aus, seine Augen wirkten dunkel.
„Joey geht es gut“, sagte er dann. „Er schläft.“
„Geht es ihm wirklich gut?“
„Ja. Er wird sich bald erholt haben.“
„Oh.“
Die innere Anspannung war so stark, Erin so sehr auf schlechte Nachrichten vorbereitet, dass ihr die Knie jetzt ganz nachgaben. Sie sank Luke in die Arme, noch immer klopfte ihr Herz wie verrückt.
Sie musste sich an ihn klammern, zitternd, in Tränen aufgelöst, erschöpft. Wenn er sie nicht gehalten hätte, wäre sie zu Boden gesunken.
„Bist du sicher?“, flüsterte sie. Es schien zu gut, um wahr zu sein. Erin fürchtete, dass sie Luke falsch verstanden hatte.
„Ja, Erin, Joey geht es gut. Während des Flugs ist er wieder zu Bewusstsein gekommen. Die Ärzte haben eine Computertomografie mit ihm gemacht, um sicherzugehen, dass er keine ernsthaften Verletzungen erlitten hat. Zum Glück hat Joey nur eine leichte Gehirnerschütterung, deshalb muss er auch die nächsten vierundzwanzig Stunden hierbleiben. Aber das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme.“
„Gott sei Dank! Ich habe mir solche Sorgen gemacht.“
Joey ist okay. Er wird nicht sterben. Er ist nicht gelähmt. Es geht ihm gut.
Immer wieder ließ Erin sich das durch den Kopf gehen, bis die Bedeutung der Worte sie endlich erreichte und die schreckliche Angst die Macht über sie verlor. Dann spürte Erin, wie die Last von ihrem Herzen schwand, spürte das warme Gefühl der Erleichterung.
Erst jetzt wurde Erin bewusst, dass sie Luke in den Armen lag. Mehr noch, sie hatte sich an ihn geschmiegt. Er küsste sie auf die Stirn und strich ihr zärtlich über den Kopf. Sie konnte seinen Herzschlag spüren.
Selbst sein Geruch fiel ihr auf – eine Mischung aus sonnigen Weiden und staubigem Mann. Dieser Duft war ihr schmerzlich vertraut. Genau wie ihre Körper, die so gut zueinander passten. Es fühlte sich alles so stimmig an, so beruhigend.
Aber woran dachte er jetzt? Was ging in ihm vor? Wollte er sie wirklich umarmen, oder tat er es nur aus Pflichtbewusstsein? Oder gar weil er sich schuldig fühlte?
In diesem Moment erschien eine Krankenschwester, die einen Teewagen durch den Flur schob. Erin kehrte mit einem Ruck wieder in die Wirklichkeit zurück und hob den Kopf.
Augenblicklich ließ Luke sie los. Erin bückte sich, um ihren Pashminaschal aufzuheben, der zu Boden gefallen war. Als sie sich den weichen Stoff wieder umlegte, merkte sie, dass sie fror. Sie sehnte sich danach, wieder in Lukes Armen zu liegen.
Aber der emotionale Moment war vorüber. Luke hatte sie in ihrer ganzen Verletzlichkeit gesehen, jetzt musste Erin wieder stark sein. Außerdem musste sie sich ins Gedächtnis rufen, dass sie ja eigentlich Zorn empfand.
„Warum hast du mich nicht angerufen, um mir zu sagen, was passiert ist?“, fuhr sie ihn an.
Sein Lächeln überraschte sie. „Das passt besser zu dir. Ich habe mir schon gedacht, dass du mir die Hölle heiß machen
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