JULIA EXTRA BAND 0263
Recht, sich in Dinge einzumischen, die sie nichts angingen? Nahm sie etwa an, sie würde zu einem dauerhaften Mitglied der Familie werden?
„Ich habe kein Interesse daran, dieses Thema weiter mit Ihnen zu diskutieren, Dr. Madison.“
Kurzes Schweigen.
„Nein. Natürlich nicht. Es tut mir leid.“ Sie klang geradezu kleinlaut, so als ärgere sie sich über sich selbst. „Man hat mir bereits häufiger gesagt, dass ich dazu tendiere.“
„Sich in Dinge einzumischen, die Sie nichts angehen?“
„Zuerst zu reden und dann zu denken. Das passiert mir oft. Sie werden mir meine Bemerkung über Kindererziehung wahrscheinlich niemals verzeihen.“
„Ich verzeihe Ihnen, wenn Sie es nicht noch einmal erwähnen.“
„Okay. Das werde ich nicht.“ Sie rutschte ein wenig tiefer in den Sitz und schaute zum Fenster hinaus.
Gino warf einen Blick in den Rückspiegel und erkannte, dass Pia eingeschlafen war. Es war halb vier am Nachmittag. In anderthalb Stunden würden sie zu Hause ankommen. Wenn sie so lange schlief, würde er sie heute Abend nicht ins Bett bekommen, und er war auf sich allein gestellt. Miss Cassidy machte auf seine Bitte hin vier Wochen bezahlten Urlaub in England. Es war die richtige Entscheidung, dessen war er sich sicher, dennoch fühlte er sich entmutigt.
Selbst die kompetente, unfehlbare, elegante Angele hatte sich überfordert gezeigt, wenn es um Pia ging. Gino und Angele hatten sich getrennt, als Pia sechs Monate alt war, und natürlich war die Kleine zusammen mit Miss Cassidy bei ihrer Mutter geblieben. Angele hatte ein luxuriöses Apartment in Rom angemietet.
Als dann vor zwei Jahren Angeles Krankheit ausbrach – eine so aggressive Form des Krebses, dass Gino lieber nicht daran denken wollte –, hatte er Pia und Miss Cassidy wieder in seine Wohnung geholt, aber er hatte nichts an ihrer täglichen Routine geändert. Es schien ihm nicht richtig. Stattdessen zog er Angeles ältere Schwester Lisette zu Rat, die ebenfalls mit einemItaliener verheiratet war und in Rom lebte. Sie gab ihm sofort recht.
„Natürlich musst du daran denken, was meine Schwester gewollt und getan hätte!“
„Ich brauche deine Hilfe bei alldem, Lisette.“
„Ich bin für dich da, Gino. Das weißt du doch.“
Pia hatte ihre Mutter verloren. Miss Cassidy gab ihr Sicherheit. Gino selbst war zu diesem Zeitpunkt stark mit der Übernahme einer Konkurrenzfirma beschäftigt und mit seinen komplizierten Gefühlen zum Tod seiner Exfrau. Er arbeitete extrem viel und reiste oft.
„Ich weiß nicht, wie viel Ihnen Francesco über meine Situation erzählt hat“, sagte er plötzlich und unterbrach Dr. Madisons Versunkenheit in den Anblick der Toskana im Frühling. Er wollte, dass keine Unklarheiten aufkamen, und er wollte, dass sie es von ihm erfuhr und nicht von Francesco oder dem Hauspersonal im Palazzo.
„Ähm, nicht viel“, entgegnete sie.
Also erzählte er ihr von Angele, Miss Cassidy, dem Apartment in Rom und seiner wachsenden Erkenntnis, dass er Pia besser kennenlernen musste, um den Grund für ihre Wutanfälle zu verstehen. Lag es am Tod ihrer Mutter? Gab es einen Bereich, in dem ihre Bedürfnisse nicht erfüllt wurden? Er war ihr Vater. Es war seine Pflicht, seine kleine Tochter zu verstehen.
„Vielen Dank, dass Sie mich eingeweiht haben“, sagte Roxanna, nachdem er geendet hatte, und in diesem Moment wurde ihm klar, dass er viel persönlicher geworden war, als er beabsichtigt hatte. Damit hatte er sich ihr gegenüber auch verletzlicher gemacht.
Er verstand sich selbst nicht. Nur zweimal war er haarscharf einem Wutausbruch von Pia entgangen, und dann hatte er noch die Angst ausgestanden, sie am Flughafen verloren zu haben – beides musste ihn stärker mitgenommen haben als zuerst geglaubt.
Er dachte immer noch an seine Tochter, als er in die Einfahrt einbog, die zum Familiensitz führte. Kurz darauf kam der Palazzo in Sicht. Das terrakottafarbene Dach glänzte im späten Nachmittagssonnenschein, und das erste Frühlingsgrün war überall herum zu erkennen.
„Ohhh, ist das schön!“, schwärmte Dr. Madison neben ihm. „Ich meine, heute. Es sieht heute ganz besonders schön aus. Verglichen mit dem letzten Mal, als ich hier war, vergangene Woche, als es, als es …“
„Vermutlich geregnet hat“, schloss Gino für sie, wobei er nicht wirklich darüber nachdachte.
Pia schlief immer noch, und er fragte sich, wie schlimm die Konsequenzen für den späteren Abend waren, wenn er es dabei beließ. Oder sollte
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