JULIA EXTRA BAND 0273
Penny hatte offenbar irgendwann einfach das Interesse verloren und aufgehört, ihren Erklärungen zu folgen.
„Verstehst du jetzt, was es bedeutet?“
„Ich habe das Wort vergessen“, gestand das Mädchen, seufzte tief und blickte dann wieder zum Fenster hinaus. „Wir sind vorhin an Pferden vorbeigefahren. Mommy hat mir einmal erzählt, dass man sich etwas wünschen darf, wenn man einen Schimmel sieht.“
Laurel spürte, wie angespannt Charles plötzlich war.
„Hast du denn einen gesehen?“, fragte sie.
„Ja.“
„Und was hast du dir gewünscht?“
„Also, ich …“ Penny errötete.
Voller Unbehagen wartete Laurel ab, was nun kommen würde. Bestimmt wollte Penny gern am Halloween-Abend verkleidet von Tür zu Tür laufen, zu einem Festival mit lauter Wahrsagerinnen gehen – oder irgendetwas anderes tun, das Charles nicht erlauben würde. Und dann würde er ihr, Laurel, die Schuld daran geben.
„Ich habe mir ein Pferd gewünscht“, sagte Penny schließlich. „Aber ich kann ja gar nicht reiten.“
Laurel lachte. „Vielleicht solltest du dann mit einem Hund vorlieb nehmen.“
„Sie sind wirklich fest entschlossen, mir möglichst viele Scherereien zu machen, stimmt’s?“, fragte Charles. In den Ohren eines Kindes klang seine Stimme sicher sanft, doch Laurel merkte deutlich, dass sie noch Ärger bekommen würde.
„Oder einen Plüschhund“, fügte sie unbeholfen hinzu.
Zu ihrem Glück war Penny begeistert von dieser Idee. Mit glänzenden Augen sagte sie: „Plüschtiere finde ich ganz toll! Bitte, bitte, darf ich einen Plüschhund haben?“
Erleichtert, dass die Katastrophe abgewendet war, erwiderte Laurel: „Natürlich. Ich werde ihn dir selbst kaufen.“
Zufrieden lächelnd ließ sie sich gegen die Rückenlehne ihres Sitzes sinken.
„Wir sollten uns dringend miteinander unterhalten“, sagte Charles so leise, dass nur sie es hören konnte. „Und zwar so bald wie möglich.“
8. KAPITEL
„Ich habe jemanden gefunden, der Laurel gekannt hat“, erzählte Rose Tilden Harker ihrer Schwester Lily am Telefon.
Lily stockte der Atem. „Wen? Wann?“, fragte sie.
„Es ist eine Frau, die auch Laurel heißt.“ Rose betrachtete das Blatt Papier, auf dem sie sich aufgeregt Notizen gemachthatte. Doch eigentlich konnte sie das Geschriebene schon längst auswendig. „Laurel Midland. Warren hat jemanden engagiert, der für uns ein bisschen nachforscht. Die Frau ist offenbar erst vor Kurzem aus Osteuropa zurückgekommen, wo sie zusammen mit unserer Laurel für das American Help Corps gearbeitet hat.“
„Oh …“
„Ja, ich weiß.“ Die beiden Schwestern hatten schon immer die Gedanken der jeweils anderen lesen können, und meistens – so wie jetzt auch – dachten sie dasselbe. Es war schmerzlich, dass es jemanden gab, der ihre Schwester gekannt hatte, wie Rose und Lily sie nie mehr kennenlernen würden. Andererseits war die Aussicht spannend, etwas über Laurel zu erfahren, die sie seit ihrer frühen Kindheit nie wieder gesehen hatten.
„Sie kannte Laurel also gut?“
„Laut dem Leiter der Organisation, der immer noch dort ist, nannte man die beiden ‚die zwei Laurels‘. Sie waren einander so nahe wie Schwestern.“
„Das ist wirklich eine Ironie des Schicksals“, fand Lily.
„Ja“, stimmte Rose ihr zu.
„Weißt du was?“, fuhr Lily fort. „Ich habe gerade erfahren, dass Conrad und ich nächsten Monat vielleicht nach New York fahren, zu einer Veranstaltung der Stiftung seines Vaters. Ich könnte ja etwas früher kommen und euch besuchen.“
Roses Herz begann vor Freude zu klopfen. Bis vor einem Jahr hatten sie und Lily noch zusammen in einem winzigen Apartment in Brooklyn gelebt, doch innerhalb von zwölf Monaten hatte sich im Leben der beiden Schwestern alles geändert: Rose hatte ihren jetzigen Mann Warren Harker kennengelernt, einen Bauunternehmer aus Manhattan, und Lily Conrad, den Kronprinzen des kleinen Alpenlandes Belorien.
Seit Lily mit Conrad verheiratet war und in Belorien lebte, sahen die beiden Schwestern sich natürlich nur noch selten. Ihr letztes Treffen lag schon zwei Monate zurück. Da sie fast ihr ganzes Leben lang zusammen gewohnt hatten – erst in einem Zimmer, dann in einem gemeinsamen Apartment –, kamen zwei Monate den beiden vor wie eine kleine Ewigkeit.
„Kannst du denn nicht sofort kommen?“, fragte Rose überaus sehnsüchtig.
Lily musste lachen. „Na, zumindest sollte ich packen, bevor ich aufbreche!“
„Du kannst doch hier alles
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