JULIA EXTRA BAND 0273
Alkoholgenuss strikt ablehne“, erklärte die Dame.
„Ausgezeichnet. Mir ist es nämlich lieber, wenn das Kindermädchen meiner Tochter nüchtern ist.“
„Dasselbe könnte ich über meinen Arbeitgeber sagen“, erwiderte sie und zog die Augenbrauen hoch. „Ich habe gewisse Vorbehalte gegen Ihre Tätigkeit in der Weinbranche.“
Nun gut, dachte Charles. Bestimmt war ein Kindermädchen, das in dieser Hinsicht recht strikte Ansichten hatte, gut für Penny. Besonders, wenn die Kleine älter wurde.
„Sie können ganz unbesorgt sein“, versuchte er ihre Bedenken zu zerstreuen. „Es handelt sich lediglich um meinen Beruf, nicht um mein Hobby.“
Die ältere Frau nickte kurz. „Das freut mich zu hören. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber die Dinge müssen nun einmal ihre Ordnung haben – und zwar ohne Kompromisse. Ich lege großen Wert auf einen routinierten, gleichbleibenden Arbeitsablauf, besonders bei den von mir betreuten Kindern.“
„Und wie stellen Sie sich so einen Arbeitsablauf vor?“, erkundigte sich Charles.
Die Antwort kam ohne Zögern. „Um sieben Uhr morgens Frühstück, bestehend aus Haferbrei und Milch. Keinen Saft, der ist schlecht für die Zähne. Wenn das Mädchen nicht zur Schule muss, werden wir vormittags draußen der Leibesertüchtigung nachgehen. Mittagessen um Punkt zwölf …“
Während die Frau ohne Pause weiterredete, wurde Charles klar, dass sie völlig unflexibel und überhaupt nicht in der Lage war, sich auf irgendwelche Gegebenheiten oder veränderte Umstände einzustellen.
Laurel könnte sie bestimmt nicht ausstehen, dachte er unwillkürlich.Sie würde versuchen, für Penny Zeit zum Spielen und Erkunden durchzusetzen – und die Freiheit, Fehler zu machen und daraus zu lernen.
Während Charles mit einer Bewerberin nach der anderen sprach, kam er kaum dazu, sich eine eigene Meinung zu bilden. Denn ständig ging ihm durch den Kopf, was Laurel zu der jeweiligen Kandidatin sagen würde: Zu ernst. Zu gemein. Sieht zu streng aus. Nicht liebevoll. Hört nicht zu. Nicht gutmütig. Mit anderen Worten, sie alle waren nicht Laurel.
Langsam fing Charles an, Laurels Ansichten zur Kindererziehung schätzen zu lernen. Nach wie vor war er jedoch der Meinung, sie würde sicher nicht lange bleiben. Dafür war sie zu jung und zu hübsch. Also musste er jemanden suchen, der ihr ähnlicher war – um sie zu ersetzen.
Mit aller Macht schärfte Charles sich ein, dass er richtig handelte und all diesen völlig verrückten Impulsen nicht nachgeben durfte, die er neuerdings verspürte, wann immer er in Laurels Nähe war.
Später am Abend rief er sie zu sich ins Büro, als sie Penny bereits ins Bett gebracht hatte und es ausgeschlossen war, dass die Kleine plötzlich ins Zimmer kommen würde. Das war wichtig, denn die Aussicht, ihr Kindermädchen zu verlieren, würde Penny sicher verstören.
Charles war bewusst, dass seine Tochter trotz ihrer jungen Jahre bereits mehrere wichtige Bezugspersonen verloren hatte. Und genau aus diesem Grund war er dagegen, dass Laurel die Stelle antrat.
„Ich weiß, ich hätte gestern nicht mit Penny nach Chapawpa fahren dürfen“, sagte sie, sobald sie das Zimmer betreten hatte. „Aber ich fand einfach, sie … sie sollte dafür belohnt werden, dass sie bereit war, sich unter andere Menschen zu wagen. Bisher war sie immer so eine Einzelgängerin. Mrs. Daniels erzählte mir, dass Penny nie Besuch von Freundinnen bekommt und …“
„Moment“, unterbrach Charles sie mitten im Satz und wies auf den Ledersessel, der ihm gegenüberstand. „Bitte, setzen Sie sich doch.“
Laurel tat es und redete weiter. „Penny scheint allmählich anzufangen, sich mit anderen Kindern anzufreunden. Dass sie langsam sozialisiert wird, finde ich wirklich erfreulich.“
Charles wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Sozialisierung war, wenn es um seine Tochter ging, sicher nicht das Wichtigste für ihn.
„Sie ist erst sechs“, stellte er fest. „Freundschaften, gemeinsame Unternehmungen nach dem Unterricht – das alles entwickelt sich doch mit der Zeit.“
Zweifelnd blickte Laurel ihn an, genau wie er es erwartet hatte.
„Während meiner Zeit in Lenovien habe ich Kinder gesehen – zugegeben, Kinder, die weitaus Schlimmeres durchgemacht hatten als Penny –, die sich vollkommen abgekapselt und in sich selbst zurückgezogen haben. Zu manchen konnte man einfach nicht mehr durchdringen. Dabei waren diese Kinder erst zwölf oder dreizehn Jahre alt. Sie hatten
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