JULIA EXTRA BAND 0274
an den Tisch setzte. Sie war sich immer noch nicht schlüssig, was sie tun sollte. Natürlich wäre es ihr lieber, wenn die Spannungen zwischen ihnen ein Ende hätten; sie vermisstedie alte schwesterliche Verbundenheit. Gleichzeitig wusste sie, dass es nie mehr so wie früher sein konnte, dafür stand zu vieles zwischen ihnen.
„Was haltet ihr von einem Spaziergang nach dem Frühstück?“, fragte Sonia. „Etwas frische Luft wird uns allen guttun, und Scott kann seinen neuen Schlitten einweihen.“
Der Schlitten war Onkel Jeremys und Tante Sonias Weihnachtsgeschenk, und weil ihn der Weihnachtsmann nicht tragen konnte, hatten sie das Riesenpaket mit den Geschenken für die Erwachsenen neben den Christbaum im Eingang gestellt. Scott hatte sich vor Glück kaum fassen können, als er das hölzerne Prunkstück mit den glänzenden Kufen erblickte. Nach Megs Ansicht war es ein viel zu teures Geschenk, aber sie sagte nichts, um ihrem Sohn die Freude nicht zu verderben.
„Eine hervorragende Idee“, lobte David seine Tochter, dann wandte er sich an seinen Enkel. „Na, Scott? Hast du Lust? Hinter dem Haus ist ein Hügel, der wäre genau richtig.“
„Aber David, das ist doch viel zu anstrengend für dich“, widersprach Lydia. „Glaubst du nicht, du solltest …“
„Meine Liebe, ich habe nicht die Absicht, den Schlitten hinaufzuziehen“, entgegnete der alte Herr ruhig, aber bestimmt. „Das überlassen wir Mr. Cole, er ist der Gesündeste unter uns. Sie opfern sich doch, Jed, oder?“
„Mit dem größten Vergnügen – das heißt, wenn Meg nichts dagegen hat. Wie ist es?“ Fragend sah er sie an. In seinen Augen war ein schwer zu deutender Ausdruck.
Was sollte sie darauf erwidern? Scott zuliebe musste sie zustimmen, doch etwas in ihr rebellierte. Dreieinhalb Jahre lang hatte diese Familie seine Existenz ignoriert, und auf einmal war er jedermanns Liebling. Daran musste sie sich erst gewöhnen.
„Natürlich bin ich einverstanden“, versicherte sie, wofür ihr Sohn sie mit einem überschwänglichen Kuss belohnte. „Aber erst isst du deinen Teller leer, hörst du?“
Als sie nach oben gingen, um Mäntel, Schals und Mützen zu holen, gesellte Jed sich auf der Treppe zu ihr. „Hast du auch wirklich nichts dagegen?“
Meg blieb stehen. „Warum sollte ich?“
„Das weiß ich nicht, ich hatte nur den Eindruck, dassdich irgendetwas stört. Was mich betrifft, so finde ich, ihr benehmt euch zum ersten Mal wie eine normale Familie.“
Sie schaute zu Boden. Verglichen mit seiner eigenen musste es ihm so vorkommen. „Was machen sie denn jetzt bei dir zu Hause?“, fragte sie ihn.
„Wahrscheinlich schlafen sie noch. Vergiss den Zeitunterschied nicht.“
„Daran habe ich nicht gedacht. Wie dumm von mir.“ Sie lächelte zögernd. „Wenn du sie später anrufen möchtest, um ihnen frohe Weihnachten zu wünschen … Meine Eltern haben bestimmt nichts dagegen.“
„Danke für das Angebot. Vielleicht tue ich das.“
Ein ungemütliches Schweigen stellte sich ein.
Wir benehmen uns wie zwei Fremde, schoss es Meg durch den Kopf. Warum nur? Vor einer Stunde, als sie Scott beim Auspacken der Geschenke zugesehen hatten, war alles so nett und ungezwungen gewesen – bis Jed davonlief, um Kaffee zu holen, und sich dann nicht mehr blicken ließ. David überreichte ihr ein wenig später eine Tasse, als er in ihr Zimmer kam, um sich bei seinem Enkel zu erkundigen, was ihm der Weihnachtsmann gebracht hatte.
„Leider habe ich kein Geschenk für dich, Jed.“
„Und ich keins für dich. Wie sollten wir auch?“, sagte er schroff. „Vor drei Tagen haben wir uns noch nicht einmal gekannt.“
Meg blieb vor ihrem Zimmer stehen. Die Hand auf der Türklinke, sah sie ihm in die Augen. „Jed, wenn ich dich heute Morgen irgendwie verletzt habe, dann war das nicht beabsichtigt.“
„Warum sollte der heutige Tag eine Ausnahme bilden? Seit wir uns begegnet sind, tun wir schließlich nichts anderes.“
Eine Falte erschien auf ihrer Stirn. So arg war es doch nicht, oder?
Es stimmte – sie stritten und fauchten sich an, doch dann lagen sie sich plötzlich in den Armen.
„Komm, schau nicht so unglücklich drein, Meg“, ermunterte er sie mit einem leichten Lächeln. „Heute ist schließlich Weihnachten.“
Ja, und der Morgen war bis jetzt besser verlaufen, als sie sich hätte träumen lassen. Abgesehen von dieser Geschichtemit Jed.
Jed …
Drei Tage kannten sie sich erst, und doch wusste sie, welche Leere er in ihrem Leben
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