JULIA EXTRA Band 0276
vorgeben, bisher unentdeckte Verwandte von ihm zu sein. Wenn man allen Glauben schenken würde, müsste er in den letzten Jahren mindestens fünfhundert Kinder gezeugt haben.“
Gina verschluckte sich an ihrem Kaffee. Hastig kramte sie ein Taschentuch hervor und tupfte sich den Mund trocken. „Ich bin ziemlich müde“, brachte sie atemlos hervor.
„Dann sollten wir schnellstens zurück in die Stadt fahren. Der Wagen steht an der Straße, aber wir müssen einen kleinen Hang dorthin hinaufklettern. Möchtest du die Schuhe wieder anziehen?“
Sie gähnte und stand auf. „Nein. Meine Füße werden mindestens eine Woche brauchen, um sich von diesen Schuhen zu erholen.“
„Dann bleibt mir nur eines“, sagte er und ignorierte ihren Protest, als er sie entschlossen über seine Schulter warf und auf den kleinen Hang zuging.
Gina erinnerte sich nicht daran, sich an Mikos gekuschelt zu haben. Auch nicht an die Tatsache, dass er ihren Kopf sanft an seine Schulter gezogen hat. Erst als der Straßenverkehr um sie herum lauter wurde, spürte sie die glatte Baumwolle an ihrer Wange und die muskulöse Brust darunter.
Verschlafen richtete sie sich auf. „Ich war wohl keine angenehme Gesellschaft, was?“, murmelte sie heiser.
Er lächelte sie an. „Beschwere ich mich etwa? Es ist doch meine Schuld. Ich habe dich zu lange wach gehalten.“
Mit unsicheren Handbewegungen versuchte sie, ihre Haare zu glätten und hoffte inständig, dass sie im Schlaf nicht geschnarcht hatte. Und ihr Make-up war mittlerweile bestimmt hoffnungslos verlaufen.
Heimlich warf sie Mikos einen Seitenblick zu. Trotz der langen Nacht und seiner ramponierten Kleider sah er immer noch elegant aus. Es war einfach nur unfair!
Der Fahrer öffnete ihnen die Tür, Mikos stieg aus und reichte Gina seine Hand. „Kommst du?“
Sie reichte ihm ihre Hand und spürte, wie seine warmen Finger sich um ihre Hand schlossen. Hoffnungsvoll sah sie ihm in die Augen. „Danke für einen außergewöhnlichen Abend.“
Lächelnd trat er einen Schritt auf sie zu, senkte den Kopf und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund. „ Parakalo . Schlaf gut!“
Nur mühsam verkniff sie sich die Tränen der Enttäuschung darüber, dass er sie nicht wiedersehen wollte. Hastig wandte sie sich ab.
„Gina, warte!“
Sie fuhr herum und sah, wie er ihre Sandalen in die Höhe hielt.
„Vergiss die hier nicht!“
Erst nachdem die Hoteltür sich hinter ihr geschlossen hatte, atmete sie aus. Ihr märchenhafter Traum war endgültig zerplatzt.
Voller Selbstmitleid steuerte sie auf den Fahrstuhl zu. In ihrem Zimmer stellte sie fest, dass ihr großer Zeh stark geschwollen war und schmerzte. Auf einem Fuß hüpfte sie auf einen Sessel zu und schrie dabei vor Schmerz auf – laut genug, um die Aufmerksamkeit eines Zimmermädchens zu erregen, das gerade ihr Bett neu machte.
Die ältere Frau betrachtete besorgt Ginas Zeh und verschwand. Kurze Zeit später erschien sie mit einer Schüssel voller Eiswürfel.
„Das wird Ihnen helfen, Kyria “, verkündete sie.
Das Eis trieb Gina endgültig die Tränen in die Augen. Ihre aufgestauten Emotionen besorgten den Rest, und in der nächsten Sekunde schluchzte sie hemmungslos an der mütterlichen Brust des Zimmermädchens. Die Frau strich ihr über die Haare und murmelte ein paar griechische Worte, die Gina nicht verstand.
„Es tut mir leid“, stammelte Gina nach einer Weile. „Ich weiß gar nicht, was in mich gefahren ist, seit ich hier angekommen bin. Ich bin so sentimental.“
„ Neh, neh “, beruhigte die alte Dame sie. „ Neh, katalaveno. Ich verstehe schon. Geht es Ihnen jetzt besser?“
„Viel besser, danke“, versicherte Gina und riss sich zusammen. „Vielen, vielen Dank. Sie waren wirklich reizend zu mir. Efcharisto !“
„ Parakalo .“ Die Frau strahlte Gina an und schloss dann leise die Zimmertür hinter sich.
Einige Minuten saß Gina nur da und starrte aus dem Fenster auf die beleuchteten Umrisse der Akropolis. Die vergangenen Stunden kamen ihr wie ein unwirklicher Traum vor. Sie war einem Mann begegnet, der ihr wieder das Gefühl gab, eine Frau zu sein.
Mikos traute sich selbst nicht in ihrer Gegenwart, und das schmeichelte ihr. Aber wieso schaffte er es dennoch, sich zurückzuhalten? War sie zu aufdringlich gewesen? Nichts schlug einen Mann schneller in die Flucht.
Es war Samstagmorgen, acht Uhr, Athener Zeit. Das bedeutete Freitagabend, neun Uhr, an der kanadischen Westküste. Ein wunderbarer Zeitpunkt, um
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