JULIA EXTRA Band 0281
dann nicht bei mir leben, aber mit dem Rest ihres Vermögens würde ich die Nanny wieder einstellen und dafür sorgen, dass meine kleine Schwester sicher und liebevoll betreut aufwächst …“
„Während du bis zu deinem Lebensende an ein Monster gefesselt bist!“, vollendete Marcos ihren Gedanken.
„Was soll ich denn sonst tun?“, fragte sie verzweifelt. „Wenn du eine bessere Idee hast, dann raus damit!“
„Geh in England vor Gericht und erstreite das Sorgerecht.“
„Das sie natürlich mir, einem Partygirl vom West End geben würden …? Eher stecken sie Nicole in ein Waisenhaus, und das kann ich auf keinen Fall zulassen. Während der Jahre, die ich in den USA im Internat verbrachte, hatten wir nicht viel Kontakt zueinander. Ich habe ihr öfter geschrieben, zum Geburtstag und zu Weihnachten kleine Geschenke geschickt und mich darauf verlassen, dass Sheldon nach dem Tod unserer Eltern gut für sie sorgt. Aber ich war naiv und habe mich getäuscht. Deshalb ist es auch meine Schuld, was mit ihr passiert ist.“
„Genau!“, pflichtete er ihr sarkastisch bei. „Und wenn dir als Aziz’ Frau auch so ein tödlicher Unfall widerfahren sollte, dann steht deine Schwester ganz allein auf der Welt da. Das ist dir doch sicher auch schon durch den Kopf gegangen, oder?“
Tamsin schluckte. „Ich …“
„Schhh!“ Marcos fuhr herum und sah einen verbeulten Lieferwagen auf der Straße neben seinem Ferrari stehen. Vier schwer bewaffnete Männer mit hartem Gesichtsausdruck sprangen aus der hinteren Tür, und dann öffnete sich die Beifahrertür, und heraus stieg Aziz al-Maghrib. Er war in seiner Landestracht gekleidet und wirkte so entspannt, als sei er auf dem Weg zu einer Party.
In seinen Augen war es vielleicht auch eine Party … Marcos’ Beerdigung.
Marcos griff nach Tamsins Arm und zwang sie zu Boden. Verdammt! Warum hatte er den Ferrari nur so offen auf der Straße stehen lassen! Ein besseres Hinweisschild hätte er sich kaum ausdenken können. Jetzt blieben ihm nur zwei Möglichkeiten …
Er konnte versuchen zu kämpfen oder wegzurennen.
Während er aus seiner Deckung beobachtete, wie zwei von Aziz’ Männern methodisch den Weinberg durchkämmten, steuerten die anderen beiden direkt auf die Orangenplantage zu. Seine Kenntnisse der arabischen Sprache waren sehr beschränkt, trotzdem konnte Marcos verstehen, was Aziz seinen Männern zurief, und wusste, dass die Chance zu entkommen äußerst gering war.
Entweder hatte Tamsin seinen Namen verraten, oder der verschlagene Schurke war von allein darauf gekommen, wer ihr Entführer war. Der Ferrari musste seine Vermutung nur noch bestärkt haben.
Marcos war sich sicher, einen oder zwei der Männer entwaffnen und überwältigen zu können, aber niemals alle. Und obwohl Aziz gerne seine Bodyguards vorschickte, wusste Marcos, dass er ihn als Kämpfer nicht unterschätzen durfte. Er war nicht nur gerissen und heimtückisch, sondern hatte sich während seiner Studienzeit an der Pariser Universität in einer französischen Kampfsportart, einer Kombination aus Straßenkampf und Kickboxen, unterweisen lassen.
Also blieb Marcos nur die zweite Option.
Er kannte die Gegend um die Weinberge wie seine Westentasche. Wenn er Tamsin gehen ließ, würde er sich so viel Vorsprung verschaffen, dass er entkommen konnte. Aber durfte er sie einfach Aziz überlassen? Niemals!
Er schaute hinab in ihr blasses Gesicht. Sie biss sich auf die Lippe, als wolle sie sich davon abhalten, laut um Hilfe zu schreien, während sie mit flackerndem Blick jede von Aziz’ Bewegungen beobachtete.
Zwanzig Jahre sorgfältigster Vorbereitung, um seine Feinde zu vernichten! Und das sollte alles umsonst gewesen sein? Jede Faser in Marcos’ kraftvollem Körper sträubte sich dagegen. Lieber würde er sterben, als das zuzulassen!
Ganz nah an ihrem Ohr flüsterte er heiser: „Dies ist deine Chance, Tamsin. Ein Schrei von dir, und sie finden uns. Dann kannst du noch heute in Marokko sein und Aziz heiraten.“
Ihre Augen forschten in seinem angespannten Gesicht. „Und was ist mit dir?“
Um Marcos’ Mundwinkel spielte ein hartes Lächeln. „Sie haben ihre Waffen nicht ohne Grund mitgebracht. Ein Schrei, und deine Probleme sind auf einen Schlag gelöst …“
5. KAPITEL
Tamsin lief es kalt den Rücken hinunter. Marcos’ unerbittlicher Blick schien sie förmlich aufzufordern, ihn zu verraten.
Sie schaute durch die Bäume zu Aziz’ Männern hinüber und öffnete den Mund, aber kein Ton
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