Julia Extra Band 0294
sehr einfache Vorspeise gehalten. Das hat sich als großer Irrtum erwiesen. Er macht daraus ein himmlisches Gericht mit Kapern, Anchovis, frischem Basilikum und einer Unmenge anderer geheimer Zutaten.“
„Du machst mir den Mund wässrig.“
Harry lächelte. „Kann ich davon ausgehen, dass du lebst, um zu essen, und nicht isst, um zu leben?“
Sie rümpfte die Nase und konterte: „Sieht man das nicht?“
Nachdenklich betrachtete er sie. Er wusste nicht, was ihm an dieser sanften Rothaarigen sonst noch alles gefiel, aber die üppigen Rundungen gehörten eindeutig dazu. „Deine Figur ist vollkommen in Ordnung.“
„Vielen Dank.“
„Das ist mein Ernst. Heutzutage gibt es viel zu viele Frauen, die nicht wie Frauen aussehen. Rohkost ist nur gut für Kaninchen. Ich hasse es, wenn eine Frau den ganzen Abend an einer Stange Sellerie knabbert, nur Mineralwasser trinkt und dann noch behauptet, sie sei zum Platzen satt.“ Er hielt an der Kreuzung zur Hauptstraße an, wandte Gina den Kopf zu und fing einen ungläubigen Blick auf. „Was ist denn?“
„Ich wette trotzdem, dass die Frauen, mit denen du dich abgibst, allesamt wie Stabheuschrecken aussehen. Oder etwa nicht?“
Er lächelte über ihre bildliche Ausdrucksweise und setzte zu einem Protest an, bevor ihm die unangenehme Wahrheit bewusst wurde. Für jeden Außenstehenden musste es so aussehen, als ob ihre Vermutung ins Schwarze traf. Er neigte wirklich dazu, mit gertenschlanken grazilen Wesen zu verkehren.
Warum eigentlich?
Harry dachte darüber nach, während er auf die Hauptstraße abbog, und fand schon bald die Antwort darauf: weil er aus Erfahrung wusste, dass Frauen, die von ihrer Figur und ihrem allgemeinen Erscheinungsbild besessen waren, zu Unabhängigkeit neigten – vor allem, wenn sie dazu karriereorientiert waren, worauf er bei all seinen Freundinnen Wert legte.
Mit Vorliebe gab er sich mit Frauen ab, die behaglichen Abenden zu Hause Besuche in Restaurants, Theatern und Nachtklubs vorzogen, um gesehen zu werden. Frauen mit eigenen hochtrabenden Zielen, die kein Happy End im Sinn hatten, sondern gute Unterhaltung und befriedigenden Sex.
Er verlangte nicht mehr und setzte das auch bei seinen jeweiligen Partnerinnen voraus. Vielleicht machte ihn das in gewisser Weise zu egoistisch, ja vielleicht … Aber er wollte nicht länger darüber nachdenken. Dennoch wurde ihm bewusst, wie verrückt es war, Gina auszuführen – selbst auf rein freundschaftlicher Basis.
Harry fiel ein, dass er ihr immer noch eine Antwort schuldete, und erklärte ausweichend: „Magersucht wird in letzter Zeit immer mehr zu einem Problem. Niemand, der bei klarem Verstand ist, kann behaupten, dass diese dürren Wesen attraktiv aussehen.“
„Wahrscheinlich nicht.“
Die restliche kurze Fahrt verlief schweigend. Als er auf Robertos kleinem Parkplatz anhielt, blickte Gina sich interessiert um. Das Restaurant lag nahe am Rande einer typischen Kleinstadt in Yorkshire, wirkte in der Dunkelheit jedoch sehr abgeschieden.
Im gedämpften Schein des spärlichen Laternenlichts schimmerten Ginas Haare wie Kupfer. Wie mochte sie auf die Bitte reagieren, es aus dem Knoten zu befreien, den sie für gewöhnlich zur Arbeit trug? Harry hatte es einige wenige Male offen gesehen, und ja, es hatte ihm gefallen.
Blödsinn, dachte er ungehalten, es ist doch nur ein Abschiedsessen.
Er stieg aus, ging um das Auto herum und half ihr beim Aussteigen. Die Luft roch würzig, und in der Nähe zwitscherte eine Amsel ihre wundersame kleine Melodie.
Mit geschlossenen Augen atmete Gina tief die frische Waldluft ein. Dann murmelte sie: „Das werde ich in London vermissen.“
„Dann geh doch nicht fort“, sagte er unbedacht.
Sie schlug die Augen auf. „Ich muss.“
„Warum?“
„Ich habe eine Wohnung gemietet und trete am Montag meine neue Arbeitsstelle an. Ich kann die Leute doch nicht im Stich lassen.“
Plötzlich wurde Harry der Grund für seine spontane Dinnereinladung klar: Er war nicht darauf gefasst, dass sie tatsächlich aus der Firma ausschied und aus seinem Leben verschwand. Natalie und die übrigen Angestellten hatten ständig davon gesprochen, dass Gina es sich im letzten Moment bestimmt anders überlegte, und es war ihm naheliegend erschienen, dem Gerede zu glauben. Doch er hätte wissen müssen, dass sie nicht so wankelmütig war.
„Das kannst du wohl wirklich nicht“, räumte er ein. Da er sie um gut zwanzig Zentimeter überragte, senkte er den Kopf, um ihr forschend
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