Julia Extra Band 0294
ins Gesicht zu blicken, und dadurch fing er einen Hauch ihres Parfums auf. Es duftete so lieblich wie Magnolienblüten, betörte seine Sinne und setzte ihm effektiv einen Schuss vor den Bug. Schroff drängte er: „Lass uns reingehen. Ich bin am Verhungern.“
Der Inhaber Roberto begrüßte sie höchstpersönlich und gebührend überschwänglich, wie es sich für einen waschechten Italiener gehörte. Er führte sie an einen lauschigen Zweiertisch und nahm die Bestellung einer Flasche Wein auf.
Während sie die Speisekarte studierten, ermahnte Harry sich zur Vernunft. Gina hatte sich bei seiner unverhofften Rückkehr nach Großbritannien als unschätzbarer Beistand erwiesen; allein aus diesem Grund führte er sie an ihrem letzten Arbeitstag bei Breedon & Son aus. Dass er sie vermissen würde, war ganz selbstverständlich. Immerhin hatte er tagtäglich unzählige Stunden mit ihr eng zusammengearbeitet, mit ihr die Frühstücks- und Mittagspausen verbracht und einiges von ihrem Leben erfahren.
„Ich glaube, ich werde den warmen Salat probieren, von dem du erzählt hast.“ Sie blickte ihn an. Ihre Augen wirkten dunkel im Kontrast zu ihrer hellen Haut. „Und danach vielleicht Tagliatelle ?“
Er nickte. „Eine gute Wahl. Ich schließe mich deinem Beispiel an.“
Sobald Roberto die Flasche Wein serviert und die Bestellung der Speisen aufgenommen hatte, lehnte Harry sich auf dem Stuhl zurück und hob sein Glas zu einem Toast. „Auf dich und dein neues Leben in der tollen großen Stadt.“ Mit gespieltem Ernst ergänzte er: „Auf dass du vor all den herumstreifenden Wölfen behütet wirst, die dich verschlingen wollen.“
Gina lachte. „Irgendwie glaube ich nicht, dass sie bei mir Schlange stehen werden.“
Nicht zum ersten Mal fiel ihm auf, wie sie sich selbst abwertete. „Aus meiner Sicht ist die Möglichkeit sehr naheliegend.“
„Danke. Du bist sehr galant.“
„Das denke ich zwar gern von mir, aber in diesem Fall sage ich nur die Wahrheit.“ Er beugte sich ein wenig zu ihr vor und fragte mit neugierigem Unterton: „Du hältst keine großen Stücke auf dich selbst, oder? Warum ist das so – oder ist diese Frage zu persönlich?“ Ihm gefiel, dass sie so leicht errötete, was er vor ihrer Bekanntschaft für eine ausgestorbene Kunst gehalten hatte.
„Das ist wohl eine Altlast, die daher rührt, dass ich als hässliches Entlein der Familie aufgewachsen bin“, sagte sie leise. „Meine beiden älteren Schwestern haben zwar auch einen rötlichen Schimmer im Haar geerbt, aber bei ihnen ist es eher ein warmes Kastanienbraun, und sie haben keine Sommersprossen. Dazu kommt, dass ich eine Zahnspange tragen musste und an schwerer Akne litt.“
Harry musterte die helle Haut, die nun makellos war. Ihre Sommersprossen fand er reizend. Und ihre Zähne waren zierlich, weiß und ebenmäßig. „Den Zahnarzt wie den Hautarzt kann man nur beglückwünschen für ihren Beitrag, den Schwan in dir hervorzubringen. Du bist eine sehr hübsche Frau, auch wenn dir das nicht bewusst ist.“
Fasziniert beobachtete Harry, wie sich die Röte auf ihren Wangen vertiefte und ihr Unmut wuchs. Da er aber ihr Unbehagen spürte, wechselte er das Thema. „Deine Schwestern sind beide verheiratet, oder?“
Gina nickte. Dabei ließ das Licht der Lampe ihr Haar in verschiedensten Schattierungen von Kupfer bis Gold glänzen. „Ich bin dreifache Tante. Bryony hat einen dreijährigen Sohn und Margaret zwei Töchter von fünf und acht. Sie sind allesamt tolle Kids.“
„Du magst sie offensichtlich sehr gern.“
„Natürlich.“
Für Harry war es ganz und gar nicht natürlich. Er kannte mehrere Frauen, die nicht einmal ihre eigenen, geschweige denn fremde Kinder ausstehen konnten. „Hast du vor, irgendwann auch eine Familie zu gründen?“
Ein Schatten legte sich auf ihr Gesicht. „Vielleicht.“
„Warum nur vielleicht?“ Ihm fiel auf, dass ihr Mund weich und verletzlich wirkte, als sie ein wenig zittrig lächelte.
„Eine Familie zu gründen setzt voraus, den richtigen Mann zu finden“, murmelte Gina, bevor sie einen Schluck Wein nahm.
„In London lernst du zwangsläufig jemanden kennen.“
In scharfem Ton entgegnete sie: „Wieso denn ‚zwangsläufig‘? Nicht jeder begegnet dem richtigen Partner fürs Leben. Da wirst du mir sicherlich zustimmen. Ich persönlich bleibe lieber Single, anstatt zu heiraten, nur um mit jemandem zusammen zu sein. Ich gehe nach London, um meine Karriere voranzutreiben und zu
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