Julia Extra Band 0295
ließ sie es sich nicht anmerken. „Das bedeutet …“
„Das bedeutet, dass die achtundzwanzigtägige Frist zur Rücknahme ihrer Entscheidung am letzten Montag abgelaufen ist“, unterbrach Jenny sie lächelnd. „Ich habe absichtlich so lange mit meinem Anruf gewartet, obwohl die Frau Sie beide schon drei Wochen vor der Geburt als Adoptiveltern ausgesucht hatte. Bei anderen Ehepaaren hätte ich mich sofort gemeldet. Doch angesichts dessen, was Sie alles hinter sich haben …“ Sie machte eine abwehrende Handbewegung und lächelte mitfühlend. „Es schien mir einfach besser, zu warten.“
Duncan hörte, wie Reese bebend ausatmete. „Erzählen Sie mir mehr über die leibliche Mutter“, bat sie.
Die nächsten zwanzig Minuten überschüttete Reese die Sachbearbeiterin mit Fragen über die leiblichen Eltern – beides Studenten – und die ältere Frau, die als Pflegemutter eingesprungen war.
Anschließend stellte Jenny einige Fragen. „Ist das Kinderzimmer schon fertig? Sie erzählten, dass Sie das Gitterbettchen nach Ihrer letzten Fehlgeburt auf den Dachboden gebracht hatten.“
Reese schüttelte den Kopf. „Nein, das Bett ist immer noch zerlegt. Es tat einfach zu weh, ins Zimmer zu gehen und es dort stehen zu sehen, nachdem … nach allem, was passiert war.“
Duncans Inneres zog sich schmerzlich zusammen bei der Erinnerung. Reese und er waren gemeinsam zum Arzt gegangen. Sie waren glücklich und aufgeregt gewesen, denn sie hatten an jenem Tag erfahren sollen, ob sie eine Tochter oder einen Sohn bekommen würden. Zu Beginn der Ultraschalluntersuchung hatte der Arzt noch mit ihnen gescherzt und gefragt, ob sie schon die Namen ausgewählt hätten. Kurz darauf war seine Miene ernst geworden.
Mitfühlend hatte er erklärt: „Es tut mir unendlich leid, Mr. und Mrs. Newcastle. Ich kann keinen Herzschlag mehr feststellen.“
Der Arzt hatte Reese direkt in die Klinik eingewiesen. Da sie bereits im zweiten Drittel der Schwangerschaft war, hatte sie die gesamte Geburt durchmachen müssen, obwohl das Ergebnis feststand. Ihr Baby, ein kleines Mädchen, war tot. Erst einen Tag vorher hatten sie das Bettchen aufgebaut. An diesem Abend war Duncan allein nach Hause zurückgekehrt und hatte es wieder auf den Dachboden geschafft. Reese hatte ihn darum gebeten. Sie hatte das Kinderbett nicht sehen wollen, wenn sie am Morgen nach Hause kam. Er hatte genau gewusst, was sie empfand.
Duncan hatte nie in Gegenwart seiner Frau geweint. Genau genommen hatte er nie offen über den Verlust seiner beiden Kinder getrauert und schon gar nicht über den langsamen Verlust jeder Hoffnung auf einen eigenen leiblichen Nachkommen. Doch er hatte geweint, als er die kleine Matratze wieder auf den Dachboden trug. Er hatte sie zusammen mit dem restlichen Bettchen hinter den Schachteln mit dem Weihnachtsschmuck verstaut und anschließend zwei Stunden auf dem staubigen Boden gesessen und abwechselnd geflucht und geheult.
Reese hatte während der ganzen Heimfahrt geschluchzt, als er sie am nächsten Tag vom Krankenhaus abholte. Er selber war gleichmütig und tränenlos geblieben. Unsensibel, hatte sie ihm später vorgeworfen. Aber einer von ihnen hatte stark bleiben müssen.
„Wir werden das Bettchen vom Dachboden holen und wieder zusammenbauen“, erklärte Duncan jetzt, und es klang beinahe wie ein Schwur.
Er merkte erst, dass er instinktiv Reeses Hand ergriffen hatte, als sie seine Finger drückte. Wenn unser zerrissenes Leben doch auch so leicht wieder zusammenzufügen wäre, dachte er.
„Das könnte Ihre Hausaufgabe für heute Abend sein“, zog Jenny die beiden auf. Ihre fröhliche Stimme vertrieb die langen Schatten, denn sie fügte hinzu: „Ich möchte, dass das Baby heute in einer Woche endgültig zu Ihnen kommt. Bis dahin haben Sie die Möglichkeit, das Kind entweder in der Agentur oder bei seiner Pflegemutter zu besuchen, um eine Beziehung zu ihm aufzubauen, und können das Kinderzimmer herrichten. Wie klingt das für Sie?“
„Einfach himmlisch“, flüsterte Reese atemlos.
Jenny wandte sich an Duncan. „Sie waren heute ziemlich still. Was halten Sie von diesem Vorschlag?“
Duncan richtete sich unter ihrem prüfenden Blick unwillkürlich auf. Er spürte, dass Reese neben ihm auf dem Sofa erstarrte. Ihr Griff um seine Hand wurde fester, als fürchtete sie seine Antwort.
Er räusperte sich. „Es fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass es tatsächlich mit einer Adoption klappt. Noch dazu so
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