Julia Extra Band 0295
Miststück“, stieß Marilee atemlos hervor und schleuderte Judith die Unterlagen entgegen. „Was hast du dir von dieser Aktion erhofft? Hier steht nichts, was ich nicht schon wüsste. Ich habe ganz sicher nicht versucht, irgendetwas davon zu verschweigen.“
„Du hast erzählt, dass deine Eltern tot sind“, sagte Judith und grinste höhnisch.
Marilee musste sich zusammenreißen, um nicht genervt die Augen zu verdrehen. „Ja. Sie sind ja auch tot. Meine Mutter ist an einer Schusswunde verblutet, die mein Vater ihr zugefügt hat. Der Staat Texas hat meinen Vater dafür zum Tode verurteilt und hingerichtet. Wenn das nicht tot ist …“
Judith wurde blass. Sie war davon ausgegangen, dass Marilee alles abstreiten würde. Mit dieser unverhohlenen Bestätigung der fürchterlichen Details hatte sie allerdings nicht gerechnet.
„Aber mein Sohn … Wir hatten nie solche … Unsere Familie ist es nicht gewohnt …“
„Wir waren so etwas auch nicht gewohnt, bis es uns widerfuhr“, erwiderte Marilee. „Und weißt du was? Du hast gewonnen. Ich gehe. Aber nicht so, wie du es dir vielleicht wünschst. Ich werde mein Kind nicht in der Gesellschaft einer so selbstsüchtigen und bitteren Frau wie dir großziehen. Du verdienst es nicht, Großmutter zu sein.“
Ohne Judith die Chance zu geben, darauf zu reagieren, ergriff sie das Handy, das auf dem Tisch lag, und wählte eine Nummer. Sie war sich sicher, dass Justin sich noch vor dem zweiten Klingeln melden würde.
„Was tust du da?“, fragte Judith argwöhnisch.
„Du hast doch sicher nicht geglaubt, dass ich mich wie ein Dieb in der Nacht davonschleiche, oder? Ich rufe meinen Ehemann an“, rief Marilee. „Ich werde ihm erzählen, was du getan hast und wohin ich gehe und ob er …“
Das Telefon in Justins Truck begann zu klingeln, als er gerade einen kleinen neugeborenen Bullen verbunden hatte. In ein paar Tagen würden die winzigen Hoden abfallen, und das Tier würde als Stier aufwachsen. Für das Kalb war diese Methode weniger schmerzhaft, als zu warten, bis es größer war, um es dann mit einem Messer zu kastrieren.
Zufrieden, dass es dem kleinen Bullen gut ging, ließ Justin das Kälbchen frei. Er zog seine Handschuhe aus und machte sich auf den Weg zu seinem Wagen, um ans Telefon zu gehen.
Doch sein Gefühl der Zufriedenheit erstarb in dem Augenblick, als er das Gespräch annahm. Bevor er Hallo sagen konnte, hörte er, wie sich zwei Frauen anschrien, und sein Herz schien einen Moment lang stillzustehen. Marilee ging es nicht gut. Um sich Gehör zu verschaffen, brüllte er ins Telefon: „Hallo? Hallo? Kann mir mal jemand sagen, was zur Hölle bei euch los ist?“
Marilee hatte schon beinahe wieder vergessen, dass sie Justin angerufen hatte. Sie starrte auf das Telefon in ihrer Hand, als wäre es eine Schlange. Dann erkannte sie Justins Stimme und atmete tief durch.
„Justin, ich bin es. Ich ertrage das nicht länger, und ich werde unser Kind ganz bestimmt nicht in einer derart hasserfüllten Umgebung aufziehen. Wenn du noch länger etwas mit mir oder diesem Kind zu tun haben willst, kommst du besser nach Hause, weil ich nämlich packe.“
Bevor er etwas entgegnen konnte, hatte sie die Verbindung unterbrochen.
„Verdammt“, stieß Justin zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Einen Moment später raste er bereits in seinem Truck über die Weide und zog eine riesige Staubwolke hinter sich her.
Gavin betrat das Haus, als Marilee in ihr Handy schrie. Er bekam gerade genug mit, um zu begreifen, dass Judith etwas Furchtbares getan haben musste. Und aus Marilees lautstarkem Telefonat schloss er, dass eine einfache Entschuldigung die Sache diesmal nicht aus der Welt schaffen würde. Er lief in Richtung des Geschreis, doch es war zu spät. Alles, was er von Marilee noch zu Gesicht bekam, war ihre Rückfront, als sie durch den Flur stürmte. Er drehte sich um und funkelte seine Frau, die in diesem Moment zu ihm kam, wütend an.
„Was zur Hölle hast du getan?“, fragte er und griff nach den Papieren, die sie in der Hand hielt. Stirnrunzelnd überflog er die ersten Seiten und blickte dann ungläubig auf. „Du hast sie von einem Privatdetektiv überprüfen lassen?“
„Ich musste Justin schützen …“
„Du bist diejenige, vor der er geschützt werden muss!“, brüllte Gavin. Aufgebracht warf er ihr die Papiere ins Gesicht und stürzte Richtung Marilees Zimmer davon. Jemand musste sie so lange aufhalten, bis Justin kam.
Judith schwankte
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