Julia Extra Band 0297
Stolz. Aus den Fenstern hatte man einen fantastischen Blick auf die Themse. Morgens tauchte der Sonnenaufgang die Zimmer in ein freundliches frisches Licht, am Abend erfüllten das Rot und Orange der letzten Sonnenstrahlen sie mit warmen Farben.
Den gestrigen Abend hatte sie mit Putzen verbracht, und heute Morgen kaufte sie noch schnell einen Strauß langstieliger Rosen. Blumen verliehen selbst der kleinsten Behausung Glanz. Und diese besonderen Rosen würden auch am Ende der Woche, wenn sie wieder nach Hause kam, noch gut aussehen.
Die Klingel ertönte ein zweites Mal. Mit vor Aufregung trockenem Mund machte sie sich auf den Weg. Vor dem Wiedersehen empfand sie eine wilde Mischung aus Sehnsucht und Furcht – als wäre es die erste Begegnung mit Kyros seit Jahren. Dabei waren kaum vierundzwanzig Stunden vergangen.
„Hallo“, begrüßte sie ihn fast schüchtern.
Kyros musterte sie eingehend. Er hatte gehofft, sie würde einen kurzen Rock ohne Unterwäsche tragen und sich ihm sofort in die Arme werfen. Ganz sicher hatte er nicht erwartet, sie wie die personifizierte Unschuld erröten zu sehen. Zudem trug sie hellgraue Leinenhosen und ein hübsches, aber definitiv unerotisches Top.
„Fertig?“, fragte er kühl.
Alice runzelte die Stirn. Was war denn aus Höflichkeit und Respekt geworden? „Möchtest du nicht für eine Minute hereinkommen?“
Kyros unterdrückte ein ungeduldiges Seufzen. Nicht wirklich, nein. Zum einen traute er sich selbst nicht, dass er nicht wieder über sie herfiel. Ein weiteres Mal wollte er nicht auf ih rem Territorium Sex haben. Schon die Nacht in ihrem Elternhaus hatte ihn innerlich aufgewühlt – ein Gefühl, das er dem mächtigen Sog der Vergangenheit zuschrieb.
Allerdings gab es in Situationen wie dieser vermutlich eine Art unausgesprochenes Protokoll. Er lächelte kurz.
„Warum nicht?“
Kyros folgte ihr in die Wohnung, interessierte sich jedoch mehr für den Schwung ihres kleinen festen Pos als für die Führung durch die einzelnen Zimmer. Vor einem überraschend guten Ölgemälde blieb sie stehen und setzte zu einer Erklärung an.
„Hast du deinen Reisepass eingepackt?“, fiel er ihr ins Wort.
Alice wandte sich von dem Bild ab. „Meinen Reisepass? Warum das denn?“
„Ich dachte, wir könnten nach Paris fliegen.“
Paris? Die Stadt der Liebe und Romantik! Trotz all ihrer guten Vorsätze tat ihr Herz einen Sprung. Rasch rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie sich keinerlei unrealistischen Erwartungen hingeben durfte. Dennoch, Paris …
„Paris?“, wiederholte sie ein wenig atemlos und hoffte, dass es ihm nicht auffiel.
„Es gibt dort eine geschäftliche Angelegenheit, um die ich mich kümmern muss. Den Rest der Zeit können wir uns die Stadt ansehen und Spaß haben.“
Na toll, dachte Alice, ließ sich ihre Enttäuschung aber nicht anmerken. Ich bin das Unterhaltungsprogramm vor und nach einem Geschäftstermin!
Nicht unproblematisch war jedoch, dass sie erst kürzlich eine größere Summe für die Renovierung ihres Badezimmers ausgegeben und dafür ihr Konto geplündert hatte. „Ich weiß nicht, ob ich mir eine Woche Paris leisten kann“, erklärte sie wahrheitsgemäß.
Kyros versteifte sich. Wollte sie ihn beleidigen? „Ich habe auch nicht vorgeschlagen, dass du dich an den Kosten beteiligst. Natürlich bist du eingeladen, Alice“, entgegnete er kühl.
„Ich bezahle immer für mich selbst.“
„Davon will ich nichts hören.“
Alice erinnerte sich, wie empfindlich er immer auf das Thema Geld reagiert hatte, wie sehr es seinen Stolz getroffen hatte. War es nicht bei dem erbitterten Streit mit seinem Bruder genau darum gegangen? „Wenn du mich nicht etwas zu den Unkosten beisteuern lässt, komme ich nicht mit“, beharrte sie stur. „Vor allem wenn auch du knapp bei Kasse bist.“
Unbewegt musterte Kyros sie und versuchte herauszufinden, ob das eine Art Scherz sein sollte. Doch der entschlossene Ausdruck in ihren Augen verriet ihm, dass sie es ernst meinte. Sie glaubte tatsächlich, er habe Geldprobleme. Wäre ihre Einschätzung nicht so weit von der Wahrheit entfernt gewesen, hätte er vielleicht gelacht.
„Dieser Ausflug“, sagte er sanft, „ist bereits seit geraumer Weile geplant. Also werde ich für alles bezahlen. Verstehst du das, Alice?“
Ihre Blicke trafen sich. Die Luft zwischen ihnen schien sich elektrisch aufzuladen.
„Bleibt mir eine andere Wahl?“, fragte sie.
„Ich fürchte nicht.“ Seine dunklen Augen blitzten auf.
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