Julia Extra Band 0297
streichelte mit einem Finger die alabasterweiße Haut ihrer Wange. „Denk darüber nach, agape mou. Bist du wirklich bereit, all das aufzugeben?“
Seine Nähe machte sie ganz kribbelig, seine Berührung ihre guten Absichten zunichte. Oder vielleicht ließ sie es auch nur zu.
Einige mochten sie einen Feigling nennen, weil sie hoffte, Kyros würde sie küssen. Denn dann gewannen wieder ihre Gefühle die Oberhand, und die Stimme der Vernunft würde verstummen.
Für einen Moment schloss sie die Augen. Welche Alternativen blieben ihr? Schlug sie sein Angebot aus, verschwand Kyros auf Nimmerwiedersehen. Eine zweite Chance würde sie nie bekommen.
In diesem Fall würde sie noch mehr leiden als in den vergangenen zehn Jahren. Denn der Trost einer unbekannten Zukunft wäre ihr von nun an verwehrt.
Wie in einer griechischen Tragödie konnte sie sich vorstellen, wie ein Leben ohne Kyros aussah: in jeder Hinsicht grau und düster. Sie war erwachsen geworden und klüger. Sie lebte nicht mehr in der Illusion, dass hunderte von Männern wie ihr griechischer Liebhaber an jeder Ecke auf sie warteten. In all der Zeit nach ihrer jugendlichen Romanze hatte sie nicht einen gefunden …
Mittlerweile streifte Kyros mit den Fingerspitzen über ihre Arme. Keine sonderlich erogene Zone – hatte sie zumindest bislang immer geglaubt. Kyros jedoch schien die Fähigkeit zu besitzen, alles, was er berührte, in hochgradig empfindsame Gebiete zu verwandeln.
Seine dunklen Augen funkelten schelmisch, als wolle er das Gespräch rasch beenden, damit er endlich zu den wichtigen Dingen übergehen und sie küssen könne.
Konnte sie es ertragen, ihn ein zweites Mal zu verlieren? Das war die entscheidende Frage.
Alice biss sich auf die Unterlippe, und Kyros wusste, wie ihre Antwort lauten würde, noch bevor sie ein Wort gesagt hatte.
„Ja, Kyros“, flüsterte sie. „Ich werde dich heiraten.“
6. KAPITEL
„Alice, mein Schatz, bist du dir sicher, dass du das Richtige tust?“
„Absolut, Mum!“ Alice blickte ein letztes Mal in den Spiegel, als wolle sie überprüfen, dass ihre Augen sie nicht täuschten.
War diese kühle verträumte Braut, die ihr entgegenschaute, wirklich sie? Diese Frau in einem cremefarbenen Kleid aus fließendem Organza? Dunkelrote Kamelien waren in ihre Haare geflochten, passend zu dem Brautstrauß, der unten auf sie wartete.
Lag es an dem Brautkleid, dass sie wie eine Fremde aussah? Oder an der immer noch in ihrem Herzen pulsierenden Hoffnung, dass es für Kyros und sie ein gutes Ende gab? Unvermittelt wandte sie sich vom Spiegel ab. „Außerdem magst du Kyros doch, ich weiß es.“
Ihre Mutter runzelte die Stirn. „Ja, ich mag Kyros. Aber dein Vater und ich wissen auch, wie sehr er dich damals verletzt hat.“
„Oh, wir waren beide viel zu jung“, warf Alice rasch ein und wunderte sich darüber, wie gut es ihr gelang, die Geschichte umzuschreiben. Alles, um die Welt zu überzeugen, dass sie gerade nicht den größten Fehler ihres Lebens beging. Als gehöre es zu einer Art Masterplan, dass Kyros sie vor zehn Jahren hatte sitzen lassen! „Und es ist lange her.“
„Ich verstehe dich ja, mein Schatz. Aber alles passiert so schnell. Und natürlich machen dein Vater und ich uns Sorgen um dich.“
„Ich bin glücklich, Mum. Das verspreche ich dir. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als Kyros’ Frau zu werden“, erwiderte Alice mit ernster Stimme, denn die Worte stammten direkt aus ihrem Herzen. Zumindest für den Moment schien ihre Mutter befriedigt.
Die Tage, seitdem sie Kyros’ unerwarteten Antrag angenommen hatte, bis zu dem Termin für die Hochzeit waren wie im Fluge vergangen, ausgefüllt mit Planung, Organisation und Entscheidungen. Ein Teil von ihr hatte einfach flüchten und im Geheimen heiraten wollen. Doch mit so einem Verhalten hätte sie ihren Eltern das Herz gebrochen. Und sandte es zudem nicht die falsche Botschaft aus, dass sie etwas zu verbergen hatte?
Nach der Rückkehr aus Paris hatte sie als Erstes ihren Job gekündigt. Das fiel ihr viel schwerer, als sie sich vorgestellt hatte. Vor allem weil ihre Vorgesetzte versuchte, sie zum Bleiben zu überreden. Die Aussicht auf einen leitenden Posten in ein paar Jahren war zwar verlockend, aber Alice widerstand der Versuchung. Verglichen mit dem, was Kyros ihr anbot, erschien ihre Karriere ihr völlig unbedeutend.
Dann setzte sie sich mit einem Makler in Verbindung, der Mieter für ihre Wohnung finden sollte. Das Apartment nicht zu verkaufen
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