Julia Extra Band 0297
hatte keine Ahnung, wer dieser Mann war. Zudem musste sie gerade erst lernen, wie wenig sie sich auf ihre Menschenkenntnis verlassen konnte. Marcus besaß alles, was sie sich bei einem Mann, einem Geliebten, einem Gefährten erträumte – jedenfalls hatte sie das geglaubt.
Die Silhouette näherte sich ihr, und erst jetzt wurde ihr die Größe und Ausstrahlung des Fremden bewusst.
„Ihnen geht es offenbar nicht gut. Wie kann ich Ihnen helfen?“ Man hörte einen leichten Akzent aus seiner Stimme heraus.
„Wer sind Sie?“, erkundigte sie sich zögernd und so leise, dass sie es selbst kaum wahrnahm.
Für einige Sekunden herrschte Stille, nur das Rauschen von Wind und Regen war zu hören.
„Ich bin Gast auf Tallawanta Stud. Ich wohne dort vorübergehend im Haupthaus.“
Jetzt erkannte sie auch den riesigen Geländewagen, dessen Scheinwerfer sie blendeten. Nur das Beste für die Gäste im Haupthaus! Und diese Woche handelte es sich um einen Gesandten des Scheichs von Shajehar, der das Gestüt inspizieren sollte.
Das erklärte den Akzent. Der Fremde sprach ein deutlich einstudiertes Englisch, wie es auf britischen Schulen unterrichtet wurde. Aber die sanfte Betonung der Konsonanten verlieh seiner Aussprache etwas aufregend Exotisches.
„Oder sollen wir beide hier draußen stehen bleiben, bis wir nass bis auf die Haut sind?“
Seine Worte klangen nicht ungeduldig, trotzdem ließ der leise Unterton keinen Widerspruch zu. Maggie bemerkte, dass der Mann keinen Mantel trug.
„Tut mir leid“, beeilte sie sich zu sagen. „Ich bin gar nicht …“
„Hatten Sie einen Unfall?“, unterbrach er sie sanft, aber dennoch nachdrücklich.
„Nein. Keinen Unfall. Ich … Könnten Sie mich vielleicht ein Stück mitnehmen?“ Sie hatte keine Hemmungen, ihn um Hilfe zu bitten. Immerhin war er ein Ehrengast, von dem sie bereits gehört hatte. Und sie befanden sich auf der Privatstraße des Gestüts, und bei diesem Wetter würde niemand mehr unterwegs sein, der hier nichts zu suchen hatte.
„Selbstverständlich.“ Galant führte er sie zu dem luxuriösen Geländewagen. Seine Schritte waren so geschmeidig, als würde er über einen roten Teppich und nicht über eine schlammige Straße gehen. Mit wackeligen Knien stolperte Maggie hinter ihm her.
Er öffnete die Beifahrertür und umfasste Maggies Ellenbogen, um ihr auf den Sitz zu helfen. Ohne seine Unterstützung hätte sie es nicht geschafft.
„Danke!“ Erschöpft ließ sie sich gegen die weiche Lehne sinken und löste ihre verkrampften Finger, mit denen sie ihre hochhackigen Sandaletten und ihre kleine Handtasche umklammert hielt. Beides fiel zu Boden. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie die Highheels und die Tasche noch immer festgehalten hatte.
Die Wärme im Auto war ein himmlischer Kontrast zu dem heulenden Unwetter draußen, und Maggie schloss erleichtert die Augen. Ruhe durchströmte sie bis in die Fingerspitzen.
„Hier“, bahnte sich eine tiefe Stimme den Weg in Maggies Bewusstsein, „nehmen Sie dies!“
Ganz langsam wandte sie sich der Stimme zu und öffnete die Augen. Sie hatte mit der Müdigkeit zu kämpfen, die sie plötzlich überfiel. Dann blickte sie in das schwärzeste Augenpaar, das sie jemals gesehen hatte. Der Fremde betrachtete Maggie und nahm jedes Detail ihrer Erscheinung auf. Sein Haar war lackschwarz und die Haut bronzefarben.
Maggie schnappte hörbar nach Luft und riss die Augen unwillkürlich weit auf. Noch nie hatte sie einen schöneren Mann gesehen, schon gar nicht so nahe vor sich.
Die aristokratische Nase war ganz leicht gekrümmt und unterstrich so seine energischen Gesichtszüge und die herrlich geschwungenen Lippen. Sie stellte sich vor, wie dieser schöne Mund wohl aussah, wenn der Mann verärgert oder auch amüsiert war. In Kombination mit dem kantigen Kiefer hatte dieser Mund eine magnetische Anziehungskraft auf Maggie. Sie hätte nie geglaubt, dass ein Mann so sehr wie ein adeliger Krieger aus Tausendundeiner Nacht wirken konnte …
„Hier“, wiederholte er und drückte ihr eine Wolldecke in die Hand. Dann zog er leicht die Augenbrauen zusammen. „Und Sie sind ganz sicher nicht verletzt?“
Sie schüttelte den Kopf und vergrub dann ihr Gesicht in der weichen Decke, die er ihr gereicht hatte. Ihre Hände zitterten stark, so unangenehm war ihr diese Situation. Ob es an seinem forschenden Blick oder an ihren wirren Gedanken lag, wusste sie allerdings nicht.
Ich muss unter Schock stehen, dachte sie benommen. Das würde
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