Julia Extra Band 0299
der enormen Anspannung ab, unter der Abby die ganze Zeit gestanden hatte.
Irgendwie schien alles aus dem Ruder zu laufen. Alle ihre Pläne waren gescheitert. „Wir müssen uns etwas Neues ausdenken, Brianna“, sagte sie leise, während sie die Kleine auf den Arm hob.
5. KAPITEL
Prinz Mychale schlief tief und fest bis zum frühen Morgen. Als er schließlich erwachte, litt er zwar noch immer unter Kopfschmerzen, fühlte sich aber wieder halbwegs lebendig.
Nach den vielen Stunden auf der Couch verspürte er jetzt das dringende Bedürfnis, sich zu bewegen. Außerdem musste er ins Bad. Also biss er die Zähne zusammen und schwang die Beine von der Couch. Die Anstrengung war enorm.
„Immer langsam“, ermahnte Abby, die gerade das Zimmer betrat. „Was haben Sie vor?“
Er warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Es gibt Dinge, bei denen selbst Sie mir nicht helfen können“, bemerkte er trocken.
Unbeeindruckt trat sie näher und wollte ihm auf die Beine helfen. „Stützen Sie sich auf mich.“
„Ich schaffe das auch allein“, murrte er.
Abby sah ihn nur geduldig an. In diesem Moment war er nicht der Prinz aus dem alten Adelsgeschlecht, sondern ein ganz gewöhnlicher Patient. Na ja, vielleicht nicht ganz gewöhnlich. Darüber konnte sie später nachdenken.
„Das mag ja sein. Trotzdem wäre es mir lieber, wenn Sie sich von mir helfen ließen“, antwortete sie energisch – ganz wie eine gelernte Krankenschwester.
Aber er beharrte darauf, es allein zu versuchen. Langsam stand er auf, schwankte und schloss die Augen. Sofort war Abby bei ihm.
„Wie fühlen Sie sich?“, fragte sie. Sein Zustand ängstigte sie. Er sah gar nicht gut aus und stützte sich jetzt schwer auf sie.
Mychale rang sich ein Lächeln ab und machte die Augen wieder auf. „Mir ist schwindlig, aber es ist schon viel besser als gestern.“
Er hatte ihr einen Arm um die Schultern gelegt, und sie bekam die Gelegenheit, seinen Körper ein bisschen genauer zu betrachten. Während des Intermezzos auf seinem Bett in der ersten Nacht war sie viel zu nervös gewesen, um den Anblick wirklich zu genießen.
Das offene Hemd entblößte einen gebräunten muskulösen Oberkörper. Offensichtlich war der Prinz durchtrainiert. Abby verspürte ein sinnliches Prickeln, doch darauf durfte sie jetzt nicht achten.
„Bis hierher und nicht weiter“, erklärte er energisch an der Badezimmertür. „Den Rest schaffe ich wirklich allein.“
„Ganz bestimmt?“ Instinktiv wich sie bereits zurück, um sich seiner unerklärlichen Anziehungskraft zu entziehen. Was machte Mychale nur mit ihr?
„Hundertprozentig“, versicherte er ihr und schloss die Tür hinter sich.
Er ist auf mich angewiesen, dachte Abby. Solange er noch so schwach war, musste sie sich um ihn kümmern. Sie brachte es nicht übers Herz, ihn einfach seinem Schicksal zu überlassen.
Sie war völlig übernächtigt. Immer wieder hatte sie sich vergewissert, dass Mychale auch ja fest schlief. Zwischendurch hatte sie Brianna versorgt und sie in den Armen gewiegt, wenn sie weinte.
Erschöpft schleppte Abby sich zum Fenster und sah hinaus. Draußen dämmerte ein neuer Tag. Es hatte endlich aufgehört zu regnen. Eigentlich der perfekte Moment für die Flucht. Doch sie saß hier fest.
Verzweifelt schloss sie die Augen. Was genau hielt sie eigentlich hier? Sie war nicht mit Prinz Mychale verwandt und war auch nicht für ihn verantwortlich oder stand in seiner Schuld. Obwohl die Leute anders darüber denken würden, wenn sie erst einmal erfuhren, dass Brianna angeblich die entführte Tochter seines Bruders, des Thronfolgers, war.
Natürlich war das eine infame Lüge, aber wie sollte sie das beweisen, wenn ihr Onkel als Leibarzt der Fürstenfamilie alle Trümpfe in der Hand hielt? Ihre einzige Chance bestand darin, so schnell wie möglich ins Ausland zu verschwinden. Und warum hing sie dann noch immer hier rum? Die Antwort lag klar auf der Hand: Weil der Prinz sie brauchte.
„Bleib“, hatte er gesagt. Was blieb ihr anderes übrig?
„Ich bin heilfroh, dass Sie gestern hier waren und den Arzt holen konnten“, sagte Mychale, als sie ihn einige Minuten später wieder zur Couch begleitete. „Wären Sie nicht gewesen, würde ich wahrscheinlich immer noch auf dem Boden liegen und auf den Tod warten.“
„Ich hatte nicht den Eindruck, dass Ihre Beschwerden lebensbedrohlich sind.“ Sorgsam deckte sie ihn zu. Fast glaubte sie selbst an ihre Worte. „Außerdem wäre sicher bald jemand aus Ihrer
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