Julia Extra Band 0299
KAPITEL
Beladen mit zwei schweren Einkaufstüten stieg Abby die altersschwache Treppe zum dritten Stock hinauf, wo sie seit fast zwei Wochen ein kleines Zimmer bewohnte. Monsieur Jean, ihr alter Französischlehrer, hatte es ihr vermittelt.
In zwei Tagen würde es weiter Richtung Norden gehen. Monsieur Jean hatte die Reise bis nach Dänemark für sie und Brianna organisiert.
„In diesem schönen Land können Sie ein neues Leben beginnen“, hatte er geschwärmt.
Doch wie das ohne Kontakte und jegliche Sprachkenntnisse gehen sollte, war Abby ein Rätsel. Nun, irgendwie geht es schon weiter, sagte sie sich immer wieder.
Jetzt nahm sie die Einkaufstüten in eine Hand und schloss die Tür auf. Das Zimmer lag im Dunkeln. Abby setzte die Tüten ab, tastete nach dem Lichtschalter und erschrak, als es hell wurde. Mychale! Der Prinz saß im Sessel und wartete auf sie!
Bevor Abby reagieren und davonlaufen konnte, war er schon bei ihr. „Noch einmal entwischst du mir nicht, Abby!“
Schweigend ließ sie ihren Blick über den Mann gleiten, nach dem sie sich so lange gesehnt hatte. Und von dem sie geglaubt hatte, ihn nie wieder zu sehen. „Wie geht es dir?“, fragte sie schließlich. „Hast du alles gut überstanden?“
Mit festem Griff umfasste er ihre Schultern und schüttelte sie. „Verflixt noch mal, Abby! Warum hast du mich belogen? Wieso hast du Danes Kind entführt? Warum hast du mir nichts gesagt?“
Die Worte blieben ihm im Hals stecken, als er Tränen in ihren schönen Augen schimmern sah. Sofort gab er seinem übermächtigen Impuls nach und zog sie an sich.
„Oh, Abby“, flüsterte er leise und küsste sie sanft. „Warum?“
Die Gefühle überwältigten auch sie. „Ich liebe dich so sehr, Mychale.“
Er küsste sie mit wachsender Leidenschaft. Natürlich war er wütend auf Abby, aber er liebte sie trotz allem. Voller Zärtlichkeit und Hingabe erwiderte sie seinen Kuss. Es war atemberaubend. Am liebsten hätte er sie auf eine einsame Insel entführt, wo sie ungestört ihre Liebe zueinander entdecken konnten. Doch zunächst einmal brauchte er eine Erklärung.
„Warum hast du mich belogen, Abby? Warum bist du mit dem Baby weggelaufen?“
Sie holte tief Luft. „Ich habe versucht, dich nicht zu belügen, Mychale. Ich habe dir nur Sachen verschwiegen. Das musst du mir glauben.“
„Wenn du mir gleich die Wahrheit gesagt hättest, wäre vielleicht alles anders gekommen.“
„Ich konnte es dir nicht sagen, Mychale. Du hättest meine Flucht verhindert.“
„Ja, natürlich hätte ich das getan.“
„Siehst du. Aber das wäre schrecklich gewesen. Du hast ja keine Ahnung, worum es wirklich geht.“
Er sah ihr tief in die Augen. „Dann erzähl es mir.“
„Okay.“ Sie setzte sich auf die Couch und zog ihn mit sich. Sie konnte sich gar nicht sattsehen an ihm. „Zuerst möchte ich aber wissen, was man mir vorwirft.“
„Deine Schwester ist im Kindsbett gestorben, und du hast aus Kummer oder Eifersucht ihr Kind entführt. Das Kind meines Bruders Dane.“
Abby machte entsetzt die Augen zu. „Aus Eifersucht?“, fragte sie leise. „Behauptet das mein Onkel?“
„Bitte erzähl mir jetzt deine Version, Abby“, bat er ernst.
„Julienne ist tatsächlich im Kindsbett gestorben. Sie ist fortgelaufen, als mein Onkel herausfand, dass sie schwanger ist. Es hat Wochen gedauert, bis ich sie gefunden habe. Aber ich konnte sie nicht retten. Sie hatte sich in einer heruntergekommenen Wohnung in Tapion verkrochen. Bei der Geburt hat ihr nur eine schlecht ausgebildete Hebamme geholfen. Brianna kam gesund zur Welt, aber Julienne ist verblutet. Ich habe noch den Rettungswagen gerufen, und sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Doch dort konnte man nichts mehr für sie tun. Sie hatte zu viel Blut verloren.“
Mychale schluckte und zog sie fest an sich. „Ich wünschte, ich wäre bei dir gewesen.“
„Ja, das wäre schön gewesen.“ Unter Tränen sah sie zu ihm auf. „Mein Onkel war außer sich. Er hatte Pläne mit Julienne. Nun sah er seine Felle davonschwimmen. Das Baby betrachtete er nur als Belastung. Ich musste mich allein um Brianna kümmern. Das hatte ich Julienne auf dem Sterbebett versprochen. Und bald war das Baby wie ein eigenes Kind für mich.“
Mychale nickte. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr Abby an Brianna hing.
„Und dann hatte mein Onkel plötzlich einen neuen Plan. Seit dem Tod deines Vaters hatte er am Hof an Einfluss verloren. Er mochte dich und deine Brüder nicht und
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